Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Statusmeldung anzuzeigen, erblickte 1997 das Licht der Öffentlichkeit, als AOL seinen Instant-Messenger-Service einführte. Das Unternehmen war damals auf ein großes Problem bei der Kommunikation zwischen Nutzern gestoßen: Wie konnte man anderen, die einen nicht sahen, mitteilen, dass man gerade nicht am Computer saß? Die Lösung bestand in einem Merkmal, das AOL die »Abwesenheitsnotiz« nannte. In einem kleinen Textfeld konnten Nutzer angeben, ob sie erreichbar, in einem Meeting oder gerade beschäftigt waren, sodass ihre Freunde wussten, ob sie ansprechbar waren. Jugendliche verwendeten diese »Abwesenheitsnotiz« jedoch ganz anders und schilderten darin ihre jeweilige Stimmung oder die Musik, die sie gerade auf ihrem Computer hörten. Schon bald taten es Nerds wie Jack, Crystal und Noah den Jugendlichen nach und nutzten ihre Abwesenheitsnotizen ebenfalls, um die Musik zu posten, die sie gerade hörten.
In einer schlaflosen Nacht in der Biscuit Factory hatte Jack überlegt, ob sich die Statusmeldungen, die sich schnell weiterentwickelten und die er mittlerweile in seinem LiveJournal-Blog nutzte, zu einer eigenständigen Internetseite ausbauen ließen. Er war aufgestanden und hatte sich Notizen über diesen Plan gemacht und sogar einen groben Prototyp entwickelt.
Als er nun, sechs Jahre später, mit Noah im Auto saß, kam er wieder auf den Plan einer einmaligen Internetseite zurück, auf der Nutzer über ihren aktuellen Zustand berichten könnten. »Du könntest schildern, welche Musik du gerade hörst, oder den Leuten mitteilen, dass du auf der Arbeit bist«, sagte Jack.
Noah hatte schon immer gefunden, dass Jacks Idee sich ziemlich nüchtern anhörte. Die Echtzeitmitteilungen klangen in Noahs Ohren genau wie Jacks Äußerungen: allzu knapp und einsilbig. Zudem hatte das Konzept zu viel Ähnlichkeit mit Dodgeball, einem im Jahr 2000 gestarteten Netzwerk, über das Nutzer ihren Freunden per SMS ihren Aufenthaltsort mitteilen konnten. Mittlerweile gab es außerdem das Netzwerk Facebook, das an Universitäten die Runde machte.
Noah starrte grübelnd aus dem Fenster. Die Wirkung des Alkohols ließ allmählich nach. Er dachte an Erin und ihre gescheiterte Ehe. An Crystal, von der er wünschte, sie säße jetzt mit ihm und Jack im Auto. Ein Teil von ihm hätte auch Ev gern dabei gehabt; er vermisste die verlorene Freundschaft sehr. Er wünschte, sie alle könnten zusammen in diesem Auto im Regen an der menschenleeren Straße sitzen und melancholisch über Verlust und Fehlschläge reden, und plötzlich kam ihm die Idee. »Ich hab’s!, rief er.
Dieses Statusding könnte Leuten helfen, Verbindung zu anderen zu halten, die nicht da waren. Es ging nicht nur darum, ihnen mitzuteilen, welche Musik man gerade hörte oder wo man sich gerade aufhielt; es ging vielmehr darum, in Kontakt mit anderen zu bleiben und sich weniger einsam zu fühlen. Es könnte eine Technologie werden, die Abhilfe gegen ein Gefühl schaffte, das eine ganze Generation vor dem Computer befiel. Ein Gefühl, mit dem Noah, Jack, Biz und Ev aufgewachsen waren, als sie Trost am Monitor gesucht hatten. Ein Gefühl, das Noah Abend für Abend verspürte, während seine Ehe und seine Firma den Bach hinuntergingen: Einsamkeit.
Eben dieses Gefühl hatte Ev so leidenschaftlich Blogger betreiben lassen, als er allein und ohne Freunde in seiner Wohnung saß und endlich über seine Tastatur Verbindung zur Welt aufnehmen konnte. Es hatte auch Biz Jahre zuvor bewogen, in der Kellerwohnung seiner Mutter das Bloggen anzufangen. Und aus demselben Grund hatte Jack sich in St. Louis bei LiveJournal angemeldet, stundenlang allein in Cafés gesessen und mit Leuten gechattet, die sichalle in Computerforen herumtrieben und Anschluss suchten. Diese Statusidee könnte ein Gegenmittel gegen das alles bieten, ein Mittel gegen Einsamkeit, überlegte Noah.
»Was wäre, wenn es Audio hätte!«, sagte Noah aufgeregt. »Oder was wäre, wenn …«, er stockte »wenn es statt über E-Mail über SMS funktionieren würde?« Ideen tauchten von allen Seiten auf. »Was wäre, wenn … was wäre, wenn …?«
Auch Jack begeisterte sich zunehmend für die Vorschläge und regte an, die Idee in Odeo zu integrieren: stimmbasierte Statusmeldungen. »Vielleicht würde es funktionieren, wenn man eine Audiodatei anhängen könnte«, sagte Jack. Es folgten weitere »Was wäre, wenn«.
»Lass uns morgen mit Ev und den anderen darüber reden«, schlug Noah vor, als Jack aus dem Wagen stieg,
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