Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Fensterscheiben wie kurz zuvor noch die Laser auf den Wänden beim Rave.
Vielleicht wäre alles anders abgelaufen, wenn ein erfahrenerer Manager die große Markteinführung von Twitter geleitet hätte. Aber es waren nur Jack, Ray und zwei unerfahrene junge Mitarbeiter.
Biz war kein Fan von Technomusik und hatte es vorgezogen, mit Livy und ihren geretteten Haustieren zu Hause in Berkeley zu bleiben. Zudem waren sie pleite, da sich ihre Kreditkartenschulden mal wieder angehäuft hatten. Deshalb hatten sie schon ihr Kaffeedosen-Sparschwein plündern müssen, in dem sie Kleingeld sammelten. Florian war in Deutschland, weil es Verzögerungen bei seinem Arbeitsvisum gab. Crystal war als Brautjungfer mit Blumen in der Hand bei einer Hochzeit. Die meisten anderen Mitarbeiter, die Odeo angestellt hatte, waren mittlerweile entlassen.
Ev hatte sich endlich einige Zeit von der Arbeit freigenommen und war mit Sara in den Urlaub gefahren. Twitter war kein Thema, das ihn vorrangig beschäftigte. Er bemühte sich gerade, seine restlichen Google-Anteile loszuwerden, um den Odeo-Investoren ihreBeteiligungen abkaufen zu können. Die Aussicht, Odeo an zwei Interessenten – MySpace oder RealNetworks – zu verkaufen, hatte in eine Sackgasse geführt. Letzten Endes beschloss Ev, die Investoren seiner Start-up-Firma auszubezahlen und dafür Millionen Dollar aus dem Verkauf von Blogger aufzuwenden – vor allem getragen von der Hoffnung, seinen Ruf zu retten.
In diesem Monat hatte er bei einer Webkonferenz öffentlich zugegeben, Odeo sei ein furchtbarer Fehler gewesen und er habe sich von äußeren Kräften in die Podcast-Firma locken lassen, um sein Selbstwertgefühl zu steigern. Zu diesen Kräften habe unter anderem ein Angebot gehört, bei der weltweit ersten IT-Konferenz TED eine Rede zu halten, und die verlockende Aussicht, in einem Wirtschaftsartikel auf der Titelseite der New York Times erwähnt zu werden. »Ich bin aus verschiedenen Gründen da hineingeraten, unter anderem wegen meines Egos«, hatte Ev in einem Blogpost geschrieben.
Aber er hielt auch fest, dass er Odeo nicht zurückkaufen wollte, um Twitter auszugliedern. Vielmehr habe er vor, ein Gründerzentrum für Start-ups zu schaffen, Obvious Corporation mit Namen, das als Ideenschmiede für einen Menschen mit zu vielen Ideen dienen sollte. Kapital von Investoren wolle er nicht, weil sie in einem solchen Rahmen, wo er mit unausgereiften Ideen nur so um sich werfe, nur hinderlich wären.
»Vielleicht ist es dumm. Vielleicht ist es naiv. Vielleicht ist es selbstsüchtig und undiszipliniert. Und vielleicht funktioniert es, offen gestanden, nicht«, schrieb Ev in seinem Blog. »Ich weiß nur, dass mich die Arbeit mehr begeistert, als es seit langem der Fall war. Und oft entsteht aus Begeisterung und gewagten Schritten Großes.«
Aber diese »Begeisterung« lenkte ihn von etwas ab, was bereits auf dem Weg zu Großem war, und er überließ die Verantwortung für Twitter dem jungen Jack Dorsey, der keinerlei Managementerfahrung oder Führungsstärke besaß. Eben dieser Jack Dorsey lag nun auf einer Behandlungsliege im Krankenhaus und musste mit fünf Stichen an der Stirn genäht werden, während das Blut über sein Gesicht auf die weißen Krankenhauslaken floss.
Gegen 2 Uhr morgens trat Jack mit schmerzendem Kopf aus der Notaufnahme des Krankenhauses auf die nächtlich stillen Straßen von San Francisco. Die Wirkung des Alkohols ließ zwar allmählich nach, nicht aber die des Koffeins im Red Bull, und so war er hellwach, und sein Herz raste. Benommen ging er wieder zurück ins Bill Graham Civic Auditorium, vorbei an dem improvisierten Twitter-Stand, den er am Nachmittag aufgebaut hatte.
Mittlerweile war Crystal bei der Party aufgetaucht, nachdem sie das Brautjungfernkleid gegen ein freizügiges Raver-Outfit getauscht hatte. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte sie Jack, als alle herbeieilten, um ihn zu umarmen. Jack schilderte die Geschichte aus seiner Sicht, bis Noah sich mit seiner Version der Ereignisse einschaltete. Es dauerte nicht lange, bis sie in Streit gerieten, wo, wie und warum Jack hingefallen war.
»Jungs! Jungs! Es reicht!«, unterbrach Crystal die beiden. »Ihr streitet euch doch über dieselben Kleinigkeiten.«
Schließlich packten alle geschlagen, zerschunden, mitgenommen und immer noch betrunken ihre Sachen zusammen und gingen nach Hause. Die großartige Markteinführung von Twitter hatte sich als Flop erwiesen.
Am Montagmorgen hatte Jack noch
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