Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
immer Kopfschmerzen vom Wochenende, als alle im Büro saßen und über den katastrophalen Abend sprachen. »Und wie viele neue Nutzer haben wir bekommen?«, fragte Biz, nachdem er erfahren hatte, dass Rays Computer ruiniert war, der Getränkeausschank misslungen war und Jacks Kopfwunde hatte genäht werden müssen.
»Lass mich mal nachsehen«, antwortete Jack, wirbelte mit seinem Stuhl herum, loggte sich in die Server ein und ließ die Finger über die Tastatur huschen.
Nach einer Weile drehte er sich wieder zu Ray, Jeremy und Biz um, die lächelnd dastanden.
»Unter hundert«, erklärte er mit niedergeschlagener Miene. »Unter hundert neue Nutzer.«
Wieder Chaos
Ein Feuer knisterte vor dem Zelt, in dem Biz und Jason Goldman, der sein Astrophysikstudium abgebrochen und 2005 eine Stelle bei Blogger angetreten hatte, in ihren Schlafsäcken lagen und kicherten wie Teenager. Seit Stunden plauderten sie und erzählten sich Witze, während alle anderen schon in den Zelten nebenan schliefen. Plötzlich unterbrach Goldman Biz und stellte ihm eine Frage, die ihn seit Wochen beschäftigte: »Was ist mit Twitter? Ich würde wirklich gern da arbeiten.«
Biz schwieg eine Weile.
Es war Samstagabend, und Ev und Sara hatten einen Campingausflug nach Big Sur in den Mammutbaumwäldern an der kalifornischen Küste organisiert.
Genau wie Biz brannte Goldman darauf, wieder mit Ev zusammenzuarbeiten. Sie waren nicht nur gern mit ihrem Freund zusammen, sondern schätzten vor allem, dass Ev als Vorgesetzter völlig anders war als andere Chefs und seinen Leuten immer die kreative Freiheit ließ, Ideen auszuprobieren. Bei Google, wo sie beide gearbeitet hatten, presste man Ideen in Tabellen und zermalmte sie mit Zahlen, um zu sehen, ob es wirklich lohnte, sie zu verfolgen.
Goldman bekundete nicht zum ersten Mal sein Interesse, bei Twitter zu arbeiten. Schon im Mai hatte er bei einem Last-Minute-Trip nach Las Vegas mit Ev und einigen Freunden, bei dem sie lange genug gefeiert hatten, um den Sonnenaufgang über der Wüste Nevadas zu bewundern, diesen Wunsch geäußert. Noch zwei Malhatte er Ev und Biz bei geselligen Abenden in San Francisco darauf angesprochen. Und nun versuchte er es im Zelt erneut.
»Twitter ist im Augenblick mehr oder weniger Jacks Sache«, antwortete Biz. »Aber du solltest morgen mal mit Ev reden und ihn fragen.«
Nachdem sie am nächsten Tag spät aufgewacht waren, standen Ev und Goldman am Campingkocher und rührten im kleingeschnittenen Tofu rum (Ev war strikter Veganer). Biz lag auf einem grellbunten Sitzsack, den sie aus der Google-Verwaltung geklaut hatten. Goldman brachte wieder seine Frage an. Aber Evs Antwort war nicht das, was er hören wollte: »Komm mal rein und verbring einige Zeit mit Jack, dann sehen wir weiter.«
Genau das tat Goldman, er kam ins Twitter-Büro und umwarb Jack, um sich durch Überredung einen Weg in die Firma zu sichern. Aber Jack erklärte, er könne niemanden einstellen. »Das liegt bei Ev. Da musst du schon mit ihm reden.«
Goldman musste bald erfahren, dass es typisch für Twitter war, von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden. Wenn ein Software-Entwickler eine Frage stellte, wenn ein Vertrag zu unterschreiben war oder jemand wie Goldman sich um eine Stelle bewarb, gestaltete sich der Entscheidungsprozess wie der reinste Narrentanz.
Nachdem Noah die Firma endgültig offiziell verlassen hatte, hatte sich das Machtvakuum nicht aufgelöst, wie Ev gehofft hatte, sondern eine neue Dimension erreicht: Es war niemand da, der Entscheidungen traf. Niemand, der die wenigen getroffenen Fehlentscheidungen revidierte.
Sobald Ev den Odeo-Investoren ihre 5 Millionen Dollar aus seinen Google-Erträgen ausbezahlt hatte, hatte er anderes im Kopf, konzentrierte sich auf Obvious Corporation und siebte seine Ideen durch. Nach wie vor war er allerdings bei Twitter als einziger Investor engagiert und hatte 1 Million Dollar seines Geldes in den Aufbau der Firma gesteckt, versuchte aber, die Leitung Jack und Biz zu überlassen. Es war jedoch noch kein nennenswertes Unternehmen. Der Dienst wuchs nur langsam und hatte bislang erst einigeTausend registrierte Nutzer. Goldman war von der Idee fasziniert gewesen, sobald er davon gehört hatte, und wollte unbedingt dort arbeiten.
Nach monatelangen Verhandlungen willigte Ev schließlich ein, Goldman einzustellen, allerdings mit einer Einschränkung: Er sollte ohne klar umrissenes Aufgabengebiet zur Hälfte bei Obvious und zur Hälfte bei Twitter
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