Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
wie sein Stuhl leicht wackelte. Er schaute vom Handy auf und sah, dass die Topfpflanze auf seinem Schreibtisch ihm mit ihren Blättern zuwinkte, als riefe sie einen Freund.
»Wow«, sagte Jack, als sein Schreibtisch kurz bebte wie Wackelpudding. »Habt ihr das gespürt?« Er drehte sich zu den wenigen Kollegen im Büro um.
Noch bevor sie antworten konnten, vibrierte sein Handy erneut. Er las Evs ursprüngliche Nachricht zu Ende: »Hat jemand gerade das Erdbeben gespürt?« Der nächste Tweet eines anderen Nutzers lautete: »Frage mich, ob ich gerade ein Erdbeben gespürt habe.«
Mit dem einsetzenden Adrenalinstoß tippte Jack schnell: »Habe gerade das Erdbeben gespürt. Sonst hat hier keiner was gemerkt.« Als er auf »senden« drückte, strömten weitere Mitteilungen auf sein Handy wie Briefe, die durch einen Briefschlitz auf den Boden flatterten. »Argh Erdbeben«, schrieb ein Freund, ein anderer: »Ja. Hab das Beben gespürt.« Es folgten eine Hand voll weiterer Erdbeben-Tweets. »Ich habe das Erdbeben gespürt, aber Livy hat mir nicht geglaubt, bis die Twitters reinkamen«, schrieb Biz. Schließlich verkündete jemand, es sei ein »Beben der Stärk 4,72« gewesen.
Das Beben verursachte keine Schäden bis auf einige angespannte Nerven und ein paar Bilder, die nun schief an der Wand hingen.Aber das Grüppchen, das dieses Ereignis auf Twitter verfolgt hatte, erlebte es völlig anders.
Am Tag dieses leichten Erdbebens nutzten nur einige Hundert Menschen den Dienst. Von den 15
000 Tweets, die bis dahin über das Netzwerk gegangen waren, hatten sich nahezu alle auf das ursprüngliche Konzept konzentriert: »Wie ist dein Status?«, eine Frage, die häufig zu einer narzisstischen Antwort einlud.
In dem Twitter-Austausch über das Erdbeben ging es um den Zustand von etwas Größerem als nur der eigenen Befindlichkeit. Obwohl die beteiligten Nutzer sich alle an völlig unterschiedlichen Orten befanden, verdichteten sich vorübergehend Zeit und Raum. Es war, als hätte jemand am losen Faden eines Pullovers gezupft und das Gewebe enger zusammengezogen. Wie Noah es ursprünglich lange vor allen anderen vorausgesehen hatte, diente Twitter dazu, dass »Leute sich weniger allein fühlten«.
Ev sah darin einen weiteren Beleg seiner Theorie, dass Twitter eine Möglichkeit biete, nicht nur etwas über das persönliche Befinden mitzuteilen, sondern auch Nachrichten zu verbreiten: Twitter nicht nur als soziales Netzwerk, sondern als Kommunikationsnetz. Er sprach mit Jack über das Konzept, Twitter als Nachrichtennetzwerk zu nutzen, aber Jack sah die Erdbeben-Tweets lediglich als Beleg für Twitters Geschwindigkeit. Er konzentrierte sich darauf, dass sein Handy bereits einige Sekunden, bevor sein Schreibtisch sich wie eine Marionette ohne Puppenspieler gebärdete, vibriert hatte.
Für Jack blieb Twitter weiterhin ein Weg, mitzuteilen, was ihm selbst passierte. Ev begann dagegen, den Dienst als Ausblick auf das zu begreifen, was in der Welt passierte.
Während diese kleinen Tagesereignisse von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieben, entwickelten Jack und Ev unterschiedliche Ansichten, was Twitter sein könnte. Und welches Potenzial darin steckte.
And the Winner is …
Am Sonntag, dem 11. März 2007, schaute der Schauspieler und Comedian Ze Frank am frühen Abend auf ein Meer von Köpfen, die sich über sanft leuchtende Handys beugten. Er redete weiter und raste dabei über die Bühne. Sein jungenhafter blonder Haarschopf wippte bei jedem Schritt im Takt zu den orangefarbenen Ballons im Hintergrund. Um die Spannung zu erhöhen, präsentierte er noch einmal sämtliche Kandidaten auf den Preis für den besten Start-up in der Kategorie Blogs bei der jährlichen Tagung für interaktive Medien auf dem Festival South by Southwest in Austin, Texas – eine Auszeichnung, die für Computerfreaks dem Oscar nahekommt.
»SuperfluousBanter«, nannte er in einer Liste weiterer Finalisten und fügte nach einer Pause hinzu: »Und Twitter!« Das Publikum im voll besetzten Saal pfiff und applaudierte – eine völlig andere Reaktion, als Twitter sie noch vor fünf Monaten bei der öffentlichen Präsentation auf der Love Parade erfahren hatte.
Jack drehte sich beinah ungläubig zu den Leuten um, die hinter ihm saßen, und grinste, als alle jubelten. Auch Ev schaute sich im Saal um, trank einen Schluck Rotwein aus dem kleinen Plastikbecher in seiner Hand, dann beugte er sich zu Jack hinüber und raunte ihm zu, falls Twitter
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