Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
war es damals nur ein Nebenprojekt. Dagegen war Odeo eine Totgeburt. Folglich hatte Ev in den vergangenen Monaten angefangen, Leute zu entlassen.
Die Entlassungen erfolgten immer nach demselben Schema. Mittlerweile beherrschte Ev es aus dem Effeff: Er ging zu einem Mitarbeiter, tippte ihm auf die Schulter und sagte leise: »Lass uns spazieren gehen.« Das hatte er nacheinander schon zu Rabble, Dom und einigen anderen gesagt. Oft schob er dabei die Hände halb in die Taschen und winkelte die Ellbogen leicht an. Dabei deutete er mit dem Kopf langsam leicht nach hinten rechts auf die Tür.
Gemeinsam verließen sie das Gebäude, bogen nach links ab und gingen die wenigen Schritte bis in den South Park. Dort setzten sie sich auf eine der grünen Parkbänke, und Ev hielt seine Grabrede.
»In letzter Zeit ist die Lage bei Odeo schwierig«, sagte er etwa. Es war ein Bruch nach dem Motto: »Es liegt nicht an dir, es liegt an mir.« Manche weinten, andere waren erleichtert. (Rabble freute sich, als der Boss ihn gehen ließ.) Aber einer war wütend.
»Ich gehe nicht, verdammt noch mal«, brüllte Noah Ev an, als sie auf der Bank saßen. Dann schimpfte er ungehalten über Odeo und Ev, der sich kaum in der Firma blicken ließ, und brüstete sich, dass schließlich er, Noah, Twitter geleitet, gehätschelt, aufgepäppelt und gemeinsam mit allen anderen geholfen habe, die Ideen umzusetzen.
»Ich sehe auf dem weiteren Weg keine Rolle für dich«, erklärte Ev. »Wenn wir Odeo nicht verkaufen, werden wir uns hauptsächlich auf Twitter konzentrieren, und ich habe nicht den Eindruck, dass wir gut daran zusammenarbeiten können.«
Noah verlegte sich aufs Bitten, dass er Twitter leiten wolle, aber Ev war klar, dass es unmöglich war. Alle hatten genug von ihm. Sie hatten schon lange ihre Grenzen erreicht. Und Jack, der wichtigste Entwickler des Twitter-Teams, würde kündigen, falls Noah blieb. Ev hatte sich bereits entschieden, und nur seine Entscheidung zählte. Als Noah eingewilligt hatte, Ev als Gegenleistung für die Anfangsfinanzierung der Podcasting-Firma zum Vorstandschef zu machen, hatte er ihm die volle Entscheidungsgewalt übertragen. Damals hatte er nicht geahnt, dass sein Freund und Nachbar die Macht, die er ihm gab, nutzen würde, um ihn, den Gründer von Odeo, aus der Firma zu werfen.
Ev stellte Noah ein Ultimatum: Entweder er akzeptierte eine Abfindung in Höhe von sechs Monatsgehältern und eine sechsmonatige Sperrfrist auf seine Odeo-Anteile oder er würde gefeuert, was in der Öffentlichkeit keinen guten Eindruck machen würde. Von Jacks Ultimatum sagte er nichts, er erwähnte nicht einmal Jacks Namen. »Überlege dir bis zum Ende dieser Woche, was du machen willst«, sagte Ev.
Noah verließ das Büro an diesem Abend traurig, gekränkt, wütend, niedergeschlagen und mit der festen Überzeugung, Ev werfe ihn aus der Firma, um die Kontrolle über Twitter zu behalten. Seinen Kummer musste er in Alkohol ertränken. Er traf sich mit Jack und einem weiteren Freund in einer nahen Bar, wo sie bis in die Nacht tranken und tanzten.
Als sie an der Theke standen und Getränke bestellten, erzählte Noah Jack, was passiert war. Jack wirkte völlig verblüfft über den Rauswurf seines Freundes. Mit keinem Wort erwähnte er, dass er selbst Ev die Waffe in die Hand gegeben hatte, mit der der endgültige Schuss abgefeuert worden war. Als der Abend sich dem Ende zuneigte, umarmte Noah Jack zum Abschied und ging allein nach Hause.
In den nächsten Tagen radelte Noah durch San Francisco und versuchte zu überlegen, was er tun sollte. Er fuhr die Embarcadero entlang und betrachtete die Boote, die auf der Bucht schaukelten. Er lag im Dolores Park und schrieb in sein Tagebuch, während im Hintergrund der Film Jäger des verlorenen Schatzes lief. Er saß am Rand der Welt, während Leute mit riesigen Windvögeln spielten. »Beobachte, wie bunte Fallschirme die Form der Unendlichkeit nachzeichnen, während sie zur Erde fallen«, twitterte er.
Ev hatte erwartet, dass Noah um die Macht und Kontrolle über Twitter kämpfen würde. Aber so sehr Noah sich auch wünschte, ein Kämpfer zu sein, war er es einfach nicht. Er kämpfte nicht, weil er gar nicht wusste, wie er es hätte anstellen sollen. Wenn ein Pferd ihn trat, ging er einfach fort.
Noah kämpfte nicht, weil ihm klar war, dass es ihm nicht um Macht gegangen war, als er Odeo gegründet hatte. Mehr als Ruhm und Geld hatte er sich einfach Freunde gewünscht.
Zwei Wochen später
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