Typisch Mädchen
Alter antworten können. Was soll das also, frage ich mich. Aber das Kind bekommt sie doch immer wieder zu hören.
Heute fiel die Feststellung von ihr: »Mann Auto fahren.« War es reiner Zufall, daß gerade ein Mann am Steuer saß, als sie dies bemerkte? Oder lag es daran, daß im allgemeinen Straßenbild mehr Männer am Steuer eines Autos zu sehen sind als Frauen; daß fast automatisch der Mann chauffiert und die Frau sich auf den Beifahrersitz (!) setzt, wenn ein Paar einen PKW besteigt. Es ist wie bei Klaus und mir und bei fast allen unseren Bekannten und Freunden. Der Mann fährt, die Frauen sitzen daneben und lassen sich fahren. Keine Erziehungsperson würde je zu Kindern sagen: »Autos sind die Welt für Männer«, und trotzdem lernen sie es.
11. März 1983 (1 Jahr, 7Monate)
Ich hole Claudia, die sechsjährige Schwester von Schorschi, von der Schule ab. Sie ißt bei uns Mittag und macht ihre Schulaufgaben. Dazu gehört, eine Geschichte aus dem Schulbuch lesen zu lernen. Claudia kann das bald, freut sich sehr darüber und findet die Geschichte so lustig, daß sie sie Anneli vorliest: »Kasperl sucht sich eine Frau. Gretel sagt: >Ich bin deine Frau.< Kasperl: >Nein, ich suche eine Putzfrau.< Gretel: >Putze ich dir nicht gut genug?< Kasperl: >Nein, eine Frau zum Naseputzen.<«
Als ich das höre, bin ich entsetzt über den Sexismus dieser Schulbuchgeschichte, obwohl ich theoretisch davon wußte. 6
Als Claudia Anneli diese Geschichte vorliest, fällt mir auf, daß Kinder schon im Vorschulalter, ohne daß Eltern mit ihnen ein kritisches Gespräch führen könnten wie mit dem Schulkind, den Sexismen der Schule ausgesetzt sind. Wieder einmal Einflüsse, die völlig ohne Wissen und Wollen der
Mütter, die »geschlechtsneutral« erziehen, wirken und die neben vielen anderen Dingen Kindern das Gesamtbild unseres Frau/Mann-Verhaltens nahebringen. Da Anneli jedenfalls schon feststellt »Silo putzen« (unsere Putzfrau Sylvia), begreift sie auch hier den Zusammenhang Frau = putzen.
Nachmittags wird gespielt. Claudia frisiert ausgiebig Anneli. Sie macht ihr einen Dutt mit einem Haarspangerl, und als Claudia mit Anneli ins Zimmer kommt, um sie vorzuführen, stehen Christa und ich bewundernd vor Anneli, sagen, wie schön sie sei, und führen sie vor den Spiegel, damit sie sich selbst bewundern kann. Gleiches haben wir mit Schorschi, der die ganze Zeit anwesend war, nicht gemacht. Weder frisiert Claudia ihn, noch bewundern wir ihn wegen seines Aussehens in anderer Weise.
Mir fällt wieder einmal auf, daß Christa immer sehr lieb zu Anneli ist und sie in der Verkleinerungsform (Annemariele) anspricht. Dabei hat ihre Stimme einen besonders weichen, schmeichelnden Klang, anders, als wenn sie mit Schorschi spricht, in einem zwar netten, aber doch sachlicheren Ton.
20. März 1983 (1Jahr, 7Monate)
Anneli und ich fahren mit der S-Bahn nachmittags nach München. Alles ist friedlich. Eine Frau, etwa 45 Jahre alt, steigt zu und nimmt uns gegenüber Platz. Natürlich entspinnt sich zwischen ihr und Anneli ein kleines Gespräch, in dessen Verlauf Anneli sich auch mit ihrem Namen vorstellt. Es ist also heraus, daß ein »Mäderl« vor ihr steht. Die Frau erzählt Anneli, daß sie gerade von der Arbeit komme und jetzt nach Hause fahre. Als Anneli auf ihre große Tasche deutet, erklärt sie ihr gleich, daß sie auf dem Nachhauseweg mit der Tasche einkaufen werde und dann schnell heimgehe, um aufzuräumen und zu kochen, und dann setzt die gute Frau zu allem Uberfluß noch hinzu: »Und wenn du groß bist, dann wirst du das auch alles einmal tun.« Anneli nickt. Diese Zukunft der Doppelbelastung hätte die Frau einem »Hansi« wohl nicht so ausgemalt!
Die Abteilung Völkerkunde im Dahlemer Museum ist für ein Kind im Hinblick auf das Thema Schiffe und Häuser sehr reizvoll. Ich besuche also mit Anneli das Museum. Wie alle anderen Kindern klettert sie auf dem einen, für Kinderspiele zugelassenen Schiff herum. Vor diesem Schiff hat sich allerdings der Saalwärter aufgebaut. Er greift immer wieder in die Kinderspiele ein und setzt Grenzen für das Erlaubte.
Zwischendurch nähert sich Anneli dem Nachbarschiff und streckt ihre Hand aus, um das Ruder zu berühren. Doch zu der Berührung kommt es nicht. Der Saalwärter ist schneller. Seine Verbote und Ermahnungen schüchtern Anneli ein. Sie geht wieder auf das Spielschiff. Von nun an sendet sie allerdings immer wieder bei der Erforschung des Schiffes unsichere, fragende Blicke zu dem Wärter.
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