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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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verschiedenen Verhaltensweisen und Geschmacksmöglichkeiten.
2. Februar 1984 (2Jahre, 6 Monate)
    Oma ist zu Besuch. Anneli stört sie beim Frühstückmachen. Ich höre, wie Oma sie ablenken möchte: »Schau doch mal zu deinem Schlummerle (eine der zahlreichen Weihnachtspuppen), ob du's wickeln mußt, ob's in die Windel gemacht hat.« So sieht es also aus, wenn ein Mädchen zum Puppenspielen angehalten wird.
    Wir treffen beim Einkaufen Barbara mit Sohn Felix (zweieinhalb Jahre alt). Barbara erzählt, sie sei auf dem Weg zum Kinderarzt, um zu fragen, ob Felix denn schon mit einem Kettcar fahren dürfe oder ob es möglicherweise gesundheitsschädlich sei. Sie wolle, ihm nämlich ein Kettcar kaufen - er liebe doch so die Autos.
    Mir ist der Gedanke an ein Kettcar für Anneli noch nie ge-kommen. Liegt das wieder einmal daran, daß ich mich nicht für Autos interessiere?
3. Februar 1984 (2Jahre, 6 Monate)
    Wir zeichnen. Anneli will die Heilige Familie in Ägypten in ihrem Häusl malen. Josef als Zimmermann davor mit Hammer und Nagel, das Jesuskind im Bettstadl mit Maria daneben. Ich zeichne Josef eine Pfeife in den Mund, wie sie der Jäger-Opa in der Schweiz immer im Mundwinkel hängen hat. Anneli reklamiert für Maria auch eine Pfeife. Da wende ich impulsiv ein: »Aber Maria kann doch keine Pfeife rauchen,«
    Daraufhin sagt Anneli: »Aber Frauen können doch auch Pfeife rauchen - das schmeckt doch gut.« (Daß es gut schmeckt, hat ihr Jäger-Opa gesagt.)
    Jetzt lenke ich ein: »Natürlich können Frauen auch eine Pfeife rauchen, wenn sie dazu Lust haben.« Ich denke dabei an zwei Zigarre rauchende Kolleginnen, die deshalb von den Kollegen diskriminiert, von den Kolleginnen beredet und belächelt werden. Ich hielt dieses Verhalten für sehr intolerant. Und jetzt passiert mir gleiches. Ich vermittle Anneli spontan das Rauchen als für Männer bestimmt. Ist mir das Einlenken bei Anneli nur gelungen, weil ich die ständige Bewußtseinskontrolle durch das Tagebuch habe? Hätte ich sonst darauf bestanden, daß Maria keine Pfeife bekommt? Ich bin mir nicht sicher.
    Sie spielt nachmittags mit zwei Buben (zwei und drei Jahre alt) im Kinderzimmer. Die Kinder kommen raus, und jedes hat ein Holzstäbchen im Mund.
    Anneli sagt: »Das sind unsere Zigaretten, und wir rauchen.«
    Ich: »Das ist kein schönes Spielzeug« und nehme es ihr weg.
    Darauf sie empört: »Aber ich bin doch ein Mann.« Hat meine Lektion von heut früh schon solche Wirkung? Die Söhne-Mütter lassen ihren Kindern die »Zigaretten« - auch wenn sie mit mir darin übereinstimmen, daß es kein Spiel sein soll wegen der damit verbundenen Täuschung über den »Wert der Zigaretten«.
    Abends in der Badewanne stellt sie sich hin, hält ihre Hände vor ihr Geschlechtsteil und stellt fest, daß sie jetzt pieselt. Sie versucht es den Männern nachzumachen. Oma kommentiert: »Laß das, du bist doch ein Mädi und kein Bub.« Schon wieder diese Verhaltensmaßregel, was Frauen/Mädchen dürfen und was nicht. Jedenfalls nicht das, was Buben machen.
4. Februar 1984 (2Jahre, 6 Monate)
    Anneli und ich schauen einen Bildband über ägyptische Mythologie an, der zufällig im Zimmer liegt und den sie unbedingt sehen will. Anneli fragt bei einer männlichen, aber sehr stilisierten Gottheit: »Wer ist das?«
    Ich: »Das ist so was wie ein Guru.« Das ist ihr nämlich ein Begriff. Wir besuchten einmal den Ashram einer Freundin.
    Anneli fragt weiter: »Ist das ein Mann?« Ich, ganz spontan: »Nein, eine Frau!«
    Um ein Gleichgewicht im Himmel herzustellen, greife ich zu einer bewußten intellektuellen Lüge, weil ich es satt habe, eine solche Konstellation schon wieder an die Männer abtreten zu müssen. Erst später, nach vielen Skrupeln über meine Unwahrhaftigkeit, sage ich mir, daß ich Anneli ja gar nicht angelogen habe. Wir wissen genug über die Existenz von Ma-triarchaten oder Ubergangsgesellschaften zum Patriarchat, in deren Religion oft nur Göttinnen herrschten oder zumindest hervorragende Stellungen einnahmen. 33 Im alten Ägypten war der Isis-Kult als Verehrung der weiblichen Göttin weit verbreitet; die männliche Gottheit setzte sich erst mit der Verbreitung der christlichen Religionen durch. Das alles wußte ich und glaubte dennoch, Anneli zu belügen, als ich ihr eine Gottheit als weiblich statt als männlich darstellte. Ich bin entsetzt, wie tief in uns das Primat des männlichen Gottes verankert ist und wie sehr wir unseren Töchtern das mühsam errungene Wissen über

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