Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
Vom Netzwerk:
niedlich aus. Und deine schönen Locken, die werden ja immer noch mehr. Ich hab was für dich.« Ihre Stimme hat sie im Vergleich zu vorher deutlich angehoben. Die letzten Worte sprach sie in besonders einschmeichelndem Ton. Schorschi steht die ganze Zeit daneben und schaut zu Ingrid, mit Anneli auf dem Arm, hoch. Dann verschwindet sie mit Anneli im Haus und holt eine Brezel. Dafür erbittet sie sich von Anneli ein Bussi auf die Wange, und sie beginnt Anneli zu kitzeln und mit ihr zu schäkern und bewundert ihre Mütze, ihren Schneeanzug - alles ganz normale Kleidungsstücke. Schorsphi steht inzwischen daneben. Dann trollt er sich davon und spielt mit dem Schnee, während Anneli immer noch auf dem Arm von Ingrid festgehalten wird. Für mich ist es keine Frage mehr, warum Mädchen personenbezogen, Buben dagegen sachbezogen sind bzw. so gelten.
24. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
    In den Winterferien in der Schweiz. Es schneit sehr, und Schneeketten müssen montiert werden. Klaus beginnt damit, ich arbeite mit. Anneli sitzt davor im Schlitten und räsoniert und quengelt vor sich hin, denn es ist ihr langweilig. Klaus will mich wegschicken, damit ich mit ihr spiele, weil er ihr Gequengele nicht vertragen könne bei dieser Arbeit. Natür-lieh soll ich mit ihr spielen, und er murkst wieder am Auto, obwohl ich Schneeketten auch montieren kann. Ich bleibe, lasse sie kreischen und erkläre ihr, daß Mami und Papi zusammen Ketten ans Rad machen, damit wir Auto fahren können. Ohne die ständige Kontrolle durch dieses Tagebuch hätte ich das nicht gemacht - ich hätte mich schön brav wegschicken lassen. Und gerade Klaus, der so oft moniert, daß ich mich zu wenig um technischen Kram kümmere, handelt hier sehr konservativ: die Frau weg vom Auto, hin zum Kind. In angespannten Situationen schlägt auch bei uns das alte Repertoire durch.
27. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
    Bei den Spaziergängen im Dorf mit Anneli treffe ich öfter andere Frauen mit ebenso kleinen Kindern. Wir kommen ins Gespräch. Die Kinder sind alle dick verpackt in ihre Schneeanzüge, es ist beim besten Willen kein Geschlechtsunterschied festzustellen. Mir fällt an den belanglosen Gesprächen mit den Frauen auf, daß wir ziemlich schnell nach den ersten gewechselten Sätzen zu der Frage kommen, ob das Kind ein Bub oder ein Mädchen sei. Ich frage genauso; es hängt vom Zufall ab, ob ich die Frage stelle oder mir die jeweilige Gesprächspartnerin zuvorkommt.
    Bin ich mittlerweile auch schon das Opfer der Vorurteile, so daß ich nach Beantwortung dieser »entscheidenden« Frage den Buben auf seine Vitalität, seine Aggressivität und Robustheit hin anschaue und mit Anneli vergleiche bzw. den Vergleich eben nicht anstelle, weil ich einem Buben von vornherein andere Eigenschaften zuschreibe? Ich ertappe mich bei entsprechenden Gedanken und Beobachtungen.
1. Februar 1984 (2Jahre, 6 Monate)
    Ich denke über die auf dem Berliner Trödelmarkt erstandene Lederhose für Anneli nach. Mein erster Impuls beim Einkaufen war: Anneli soll ein burschikoses, kesses Gör sein, dazu gehört eine Lederhose, um sie diesem Image ähnlicher zu machen. Außerdem soll sie praktisch und nicht mädchenhaft angezogen sein. Andererseits wirkt natürlich gerade bei einem Mädchen eine Lederhose besonders »niedlich«. Will ich sie womöglich gerade deshalb in eine Lederhose stecken? Ich glaubte mich schon ertappt zu haben.
    Dann überlegte ich aber noch ein bißchen weiter in die Zukunft hinein. Die Hose ist so groß, daß sie Annelie erst in einigen Jahren passen wird; ob sie bis dahin sich von mir noch hineinstecken lassen wird? Als Mädchen! Was würden ihre Freundinnen im Kindergarten dazu sagen - mache ich sie zum Außenseiter? Ich gehe wie selbstverständlich davon aus, daß Anneli bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren eine so starke Identifikation als Mädchen haben wird, daß sie die Hose nicht anziehen will. Ich bin mir allerdings klar darüber, daß das meine Projektion ihres Mädchenverhaltens ist. Ich unterstelle und nehme vorweg, was bis dahin für sie als Mädchen gesellschaftlich (und sei es nur der gesellschaftliche Rahmen des Kindergartens) möglich sein wird. Daraufhin biete ich Christa die Hose für Schorschi an. Sie fragt sofort zurück, ob das denn auch eine Bubenlederhose sei, eine »richtige Lederhose«.
    Korrespondiert hier nicht das Verhalten einer Tochter-Mutter mit dem Verhalten einer Sohn-Mutter? So machen wir aus unseren Kindern Frauen und Männer mit

Weitere Kostenlose Bücher