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Tyrannenmord

Tyrannenmord

Titel: Tyrannenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Jensen
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Autoschlange gebildet hatte, »ja, also, von daher bist du für die Scheinheiligkeiten der selbsternannten Erwachsenen natürlich besonders empfänglich.« Joe griff zur Hemdenbrusttasche, in der es verdächtig nach deformierter Zigarettenschachtel knisterte, unterließ es jedoch seiner alten Sucht, schon aus Rücksichtnahme gegenüber Ben, nachzugeben.
    »Was für Scheinheiligkeiten meinst du denn konkret«, warf Ben ein, der noch immer nicht seine flüchtigen Blicke von der Förde und der inzwischen milchig-weiß schimmernden Ostsee lösen wollte, da diese in ihrer herben Schönheit die vormals trüben Gedanken verscheuchte und ihn, wenn auch nur für Sekunden, positiver denken ließ.
    »Von einem Beispiel, das ein Schlüsselerlebnis für mich jungen Menschen hinsichtlich der Kirche und ihrer Beziehung zur übrigen Welt war, kann ich dir gerne erzählen«, antwortete Joe, während sie gerade an einer roten Ampel warten mussten und ihre Blicke über die in einer Reihe aufgebauten, blitzenden Karossen, eines seitlich liegenden Autohauses wanderten. »Es war Ende Herbst, wir waren noch mit Sammelbüchsen für die Kriegsgräberfürsorge unterwegs und im anschließenden Konfirmandenunterricht war mal wieder wie schon oft von der Schöpfung und insbesondere natürlich vom Bewahren derselben die Rede. Da wurde – allerdings mit noch etwas anderem Vokabular als heute – der Natur- und Umweltschutz angesprochen, rücksichtsvoller Umgang mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren angemahnt, maßhalten statt Völlerei empfohlen, und natürlich wäre es am besten, man nähme alles Lebendige als etwas ganz Besonderes allseits von Gott Geschaffenes wahr … so oder so ähnlich muss damals der Inhalt der Ansage gelautet haben. Dass das alles nur leeres Gefasel war, so nach dem Motto ›Wasser predigen und selbst Wein trinken‹ durfte ich dann eher zufällig einige Momente später erleben. Auf dem Weg nach Hause bemerkte ich nämlich, dass ich noch das Tütchen mit den restlichen Ansteckern aus der Sammelaktion bei mir trug und lief zurück, um sie dem Pfarrer umgehend auszuhändigen. Und wer saß da, die Serviette vor dem feisten Bäuchlein, mit seiner Kirchenbüro-Sekretärin bei üppiger Schlachtplatte, nicht zu vergessen der obligatorische rote Tropfen, und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein?« Grinsend streifte Joes Blick Ben, der sich gerade auf die Straße und den Verkehr zu konzentrieren schien. »Das gab natürlich damals meinem jugendlichen Argwohn weitere Nahrung«, nahm Joe das Gespräch wieder auf, »denn – das muss ich ehrlicherweise noch hinzufügen – ich hatte mit dem ganzen Verein sowieso nie viel am Hut. Aber seitdem war die Kirche für mich bis in alle Ewigkeit gegessen.«
    »Ja, aber«, konterte Ben, »Pastoren sind doch auch nur Menschen, behaftet mit Fehlern wie wir alle.«
    »Das ist durchaus richtig, Ben«, erwiderte Joe, »aber ist es dann nicht erst recht vermessen, sich zum moralischen Sprachrohr des Heiligen Geistes aufzublasen, den noch niemals jemand sah? Der Papst gab sich ja mal sogar für den Stellvertreter Gottes aus … ich frage mich nur, wie sich das mit den erst in jüngster Vergangenheit bekannt gewordenen Fällen von Kindesmissbrauch durch Priester vereinbaren lässt? Von der zu erwartenden Dunkelziffer ganz zu schweigen! Und wie reagieren die Katholiken darauf?«, empörte sich Joe weiter. »Tun so, als ob ihnen an lückenloser Aufklärung gelegen wäre, und rudern gleich am Anfang wieder zurück, angeblich, wegen Differenzen mit dem dafür von außen eingesetzten Experten. Nee, nee, ich sage dir Ben«, sprudelte es weiter unvermindert aus Joe hervor, »die Damen und Herren haben mit Schrecken einsehen müssen, dass sie sich wohl in der Sache zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Nach wie vor geht es dem Verein doch hauptsächlich um Machterhalt und Pfründe, cui bono – wem nützt es? Das war schon früher und es ist auch heute noch so. Klar, ein bisschen Sozialarbeit wird für deine Steuer ja geboten, aber ob das gerade diese zumeist dicklichen Herren mit ihrer albernen Maskerade leisten, ist zu bezweifeln, und gerade diese leben später ja ausgesprochen gut von ihren üppigen Pensionen. Also, für mich bringe ich die ganze Sache ganz einfach auf folgenden Punkt: Gibt es Gott nicht, haben alle Kirchenheinis gelogen. Gibt es ihn aber, brauche ich diese nicht!«
    »Oh, oh«, kommentierte Ben, der etwas Zeit brauchte, um den unerwartet ausführlichen Vortrag seines

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