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Tyrannenmord

Tyrannenmord

Titel: Tyrannenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Jensen
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zum Nebengebäude hinüber, wo bei Raoul noch Licht brannte. Inzwischen war die alte Stille zurückgekehrt, doch diese schien ihr jetzt trügerisch, sie würde durch die Vorfälle nie mehr dieselbe sein.
    Auch Raoul versuchte das Beste aus der buchstäblich zerfahrenen Situation zu machen. Sowieso kein Freund des Müßiggangs machte er sich über den seitlichen Staketenzaun her, der den durch Nina bewirtschafteten Gemüsegarten vom übrigen Grundstück trennte und eigentlich schon länger eines erneuten Anstrichs bedurfte. Er trennte die Zaunteile von den Pfosten und trug diese nach und nach in den Geräteschuppen, um dort Vorarbeiten zu erledigen.
    Bevor er zu Bett ging, nahm er in seiner Küche einen kleinen Imbiss zu sich und ging noch mal in den Garten, um frische Luft zu schnappen.
    Gerade wollte er wieder ins Haus zurückkehren, weil ihm angesichts der niedrigeren Temperatur in seinem dünnen Pyjama doch sichtlich fröstelte, als sein Ohr ein gleichmäßiges, sich auf der Langballiger Straße befindliches, dumpfes Dröhnen erreichte, was ihn sogleich merkwürdigerweise an eine Militärkolonne zu Zeiten der Fremdenlegion denken ließ, die sich zu einem Rachefeldzug aufgemacht hatte.
    Seine Wahrnehmung hatte ihn auch heute nicht getrogen, denn der martialisch wirkende schwarze Pulk von Bikern, der mit blitzenden Scheinwerfern und ständig aufheulenden Motoren im Schritttempo wie ein stählender Gliederwurm aus einer anderen Welt wirkte, war soeben auf das Grundstück eingebogen. Er umkurvte die mittig auf dem Vorplatz stehende alte Linde unter ohrenbetäubendem Lärm mehrere Male und erst nachdem einige Sprossenfenster zu Bruch gegangen und die Haustür ebenfalls durch einen Feldstein zersplittert in ihren Angeln hing, verschwand der ganze Spuk, so schnell wie er gekommen war im Dunkel der Nacht.
    Raoul war als alter Legionär reflexartig im Schatten des Hauses stehen geblieben und hatte dem überfallartigen Treiben, das statt der wenigen Sekunden Ewigkeiten zu währen schien, reglos zugesehen.
    Überall im Haupthaus sah er jetzt Licht angehen und es stürzte eine laut schreiende Nina durch die zersplitterte Tür ins Freie, während ihr Mann mit Moritz im Arm unmittelbar folgte.
    Raoul wollte sich nicht gleich dem familiären Jammer stellen und zog sich unauffällig zurück. Aber für ihn stand nun unumstößlich fest, was er zu tun hatte. Er murmelte fast unhörbar: »Es wird immer so sein, der Fisch beginnt vom Kopf zu stinken.«
    Noch in derselben Nacht nahm Dorfpolizist Hensel den Vorfall zu Protokoll und stellte das Tatwerkzeug, einige kleinere und einen zwei Kilogramm schweren Feldstein als Beweismittel sicher. Den angebotenen Polizeischutz lehnte Nina dankend ab. Das hätte das soeben ausgelöste Empfinden – im eigenen Haus nicht mehr sicher zu sein – nur noch mehr vertieft.

    Den kleinen Moritz brachte Raoul gleich am darauffolgenden Morgen zu den Großeltern in die nahe Kreisstadt. Nina wollte ihn gern in Sicherheit wissen und er bräuchte – wie sie dunkel, ja fast fatalistisch andeutete – ihrem Untergang nicht in allen Phasen unbedingt beizuwohnen.
    Joe war der Erste der Widerständler, der auf ihrem Hof erschien. Ben, dem die Verzweiflung wächsern ins Gesicht geschrieben stand, öffnete ihm die Haustür, oder vielmehr, was davon übrig geblieben war, und führte ihn geradewegs in das kleine Büro, wo Nina bereits wartete.
    »Es hat doch alles keinen Zweck mehr, wir müssen unser Leben hier ein für alle Mal aufgeben«, wandte sie sich mit tränenerstickter Stimme an Joe, der sie stumm und mitfühlend in die Arme nahm.
    »Du weißt gar nicht, wie leid es mir tut, Nina. Mit einer Gegenreaktion hatten wir ja zu rechnen, aber dass es euch gleich so treffen sollte …vielleicht war die Aktion Gülle ja naiv, dennoch: Hätten wir denn alles über uns einfach so ergehen lassen sollen?«
    »Ja, genau, dumm und naiv war das alles von euch«, ereiferte sich Nina mehr schluchzend als schimpfend, »und gerade du«, wandte sie sich Joe zu, »mit deinem ach so tollen Umweltbewusstsein, hast da – ohne uns vorher nur ein Sterbenswörtchen zu sagen – in vorderster Linie mitgewirkt!«
    »Ich habe jedenfalls lange mit mir gerungen, das kannst du mir ruhig glauben«, verteidigte sich der Angegriffene. »Aber schließlich habe ich es glasklar als Ausnahmezustand und Notwehr begriffen und damit schließlich gerechtfertigt.«
    »Na, na, Nina«, versuchte Ben seine Frau zu beschwichtigen, »bleiben können

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