Tyrannenmord
haben halt mit der Entwicklung Pech gehabt. Es sind Buchungen storniert und Gäste, darunter langjährige Stammkunden, kommen nie wieder. Bald muss ich dem Aushilfspersonal kündigen und über kurz oder lang geht es wirklich an die Reserven.«
»Also, Ben, ich finde, wir sollten nicht so schnell klein beigeben«, mischte sich Erika Long erneut ein. »Diese Gülle-Aktion kann nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein. Vielleicht sollten wir die Langballiger Straße blockieren. Ich denke da an eine lebende Straßensperre bestehend aus einer Menschenkette. Wobei wir zum Beispiel auf die Abgas-Problematik durch das Tragen von weißen Atemschutzmasken hinweisen könnten – pressewirksam wäre das in jedem Fall.«
»Nee, nee, Erika«, meldete sich jetzt Joe zu Wort, »diese schwarze Gang wird dann womöglich ihr freundliches Stelldichein erneuern und wer weiß, was die sich dann dazu ausdenken.«
»Hast du etwa Angst, Joe«, versuchte Erika Long diesen zu provozieren, »soviel ich weiß, hast du dich in deinem Leben ganz anderen Dingen widersetzt.«
»Danke für die Blumen.« Joe lächelte flüchtig. »Um mich geht es hier gar nicht so sehr, ich denke da in erster Linie an Ben, Nina, Moritz und Raoul und nicht zuletzt an meinen Vater. Auf See«, und damit sprach er Erika Longs Zeit bei Sea Shepherd und deren Einsätze gegen den Walfang an, »musst du ja auf solche Gegebenheiten wie hier überhaupt keine Rücksicht nehmen.«
»Genau so ist es, Joe«, mischte Ben sich jetzt zustimmend ein, der lange zu allem geschwiegen hatte. »Ich sehe da außer dem legalen Stimmensammeln vor Ort keine andere Möglichkeit mehr, es sei denn, wir kriminalisieren uns und dann kann erst recht alles aus dem Ruder laufen. Am Ende gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer oder gar Schlimmeres. So einen Überfall, wie auf unser Haus geschehen, möchte ich jedenfalls nie wieder erleben, und außerdem ist die Saison, kaum dass sie begonnen, für uns sowieso gelaufen.« Ben wirkte nahezu gebrochen.
»Na, so bleibt mir ja wohl nur noch«, erwiderte Erika Long ironisch und die Enttäuschung war ihr deutlich anzumerken, »ein rundes Verbotsschild mit einem dieser beratungsresistenten Biker zu malen, der von einem quer von oben nach unten laufenden roten Balken am Weiterfahren gehindert werden soll.«
Einen Tag später prangte dieses Zeichen des Widerstands unübersehbar am Wirtschaftsweg vor ihrem Haus. Aber gerade das, sollte ihr zum Verhängnis werden.
10. Tod eines Tyrannen
Flüchten oder Standhalten? Sich für dieses oder jenes zu entscheiden, schien Nina und Ben ähnlich unmöglich, wie das Lösen des Gordischen Knotens. Einerseits, wenn sie eher positiv gestimmt waren, tendierten sie natürlich liebend gern dazu, zu bleiben. Vielleicht würde die Gemeinde mit ihren Entschlüssen nicht so lange warten und es ergäbe sich zur nächsten Saison eine Hinwendung zum Besseren, zu einem Status, der das Verkehrsaufkommen von Motorrädern zwar nicht aus der Welt schaffen, doch immerhin so begrenzen würde, dass sie damit leben konnten.
Andererseits war ihnen klar, dass ihre Kapitaldecke ziemlich dünn war und sie etliche Raten bei der Bank zu tilgen hatten. Sollte der Verlauf sich nicht so entwickeln, wie es nötig war, blieben sie auf einem weitaus größeren Haufen Schulden sitzen und der Wertverlust des Hauses käme – wenn sich im Zuge einer Zwangsversteigerung überhaupt so schnell ein Käufer fände – so oder so praktisch einer Existenzvernichtung gleich.
Sie würden in die Stadt zurückgehen und erneut da anfangen, wo sie mit ihren Träumen im Gepäck einst aufgebrochen waren.
Raoul müsste sich eine neue Arbeit suchen, aber was viel schwerer wiegte, war für ihn der Verlust der kleinen Familie. Es quälte ihn, wie leicht und schnell jemand das hart Aufgebaute zum Einsturz bringen konnte. Je mehr er sich damit beschäftigte – und das geschah in letzter Zeit immer häufiger –, umso stärker keimte in ihm die Vorstellung auf, an denen, die er für die Hauptverantwortlichen der Misere hielt, Vergeltung zu üben. Er wollte, wenn möglich, die Pleite rechtzeitig abwenden.
Früher hatte er mal einige Jahre in der Fremdenlegion gedient und es dort im Spezialverband – dem Elitekorps Légion étrangère – bis zum Scharfschützen für besonders prekäre Einsätze gebracht. Aus dieser Zeit stammte das GCP-Präzisionsgewehr, welches ihm sein direkter Vorgesetzten einst schenkte, nachdem er diesen, bei einer der gefährlichsten
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