Über Alle Grenzen
den Kurs über das Bewusste Sterben.
Im Zentrum konnten fünfzig neue Leute sofort anfangen, denn alle Belehrungen vom ersten Besuch waren schon gedruckt und im Umlauf. Obwohl Ausdauer und geistige Unterscheidungskraft der Bevölkerung nicht überwältigend sind, ermöglichten jährliche Besuche, Videos und Texte das beste stetige Wachstum. Die starken Schwestern Hoogenstein wollten sich um Caracas kümmern und Paula um das Zentrum in El Lion. Alles war in Entwicklung, so dass diesmal keine Rede davon war, das Zentrum zu “retten”. Schließlich stießen auch Detlev und Ulla zu unserer Gruppe, die damaligen Leiter des Münchner Zentrums und Hauptverantwortliche für unsere Zeitschrift “Buddhismus Heute”.
Der kolumbianische Kurs über das Bewusste Sterben fand nahe Tunja, nördlich von Bogotá, statt. Vierzig Teilnehmer kamen zu Adrianas stattlichem Geburtshaus in das Smaragd-Land. Dort werden die Kriege wegen Edelsteinen statt Kokain geführt, sind aber deswegen nicht weniger blutig.
Etwas im allgemeinen Karma des Landes verschob sich zumindest vorübergehend, das zeigten meine Träume. Im Jahr zuvor hatte ich fast jede Nacht Häuser gestürmt und Geiseln befreit. Wenn diesmal die Türen aus den Angeln sprangen, saßen die Leute jedoch friedlich um die Tische. Tatsächlich bot einige Tage darauf Pablo Escobar, der Größte unter den Drogenbossen, der Regierung Verhandlungen an und ließ zum Zeichen seines guten Willens die meisten Geiseln frei. Gleichzeitig gestaltete sich die “M 19”, eine der drei großen Guerillaverbände, in eine politische Partei um.
Nach dem Kurs über das Bewusste Sterben kam Eduardo mit uns per Bus durch den Süden Kolumbiens bis an die Grenze nach Ecuador. Tenga Rinpoche hatte uns zwar geraten, aus Sicherheitsgründen diese Strecke zu fliegen, doch da sich die Lage wieder beruhigt hatte, wollten wir das Geld sparen.
Ecuador, hoch in den Anden, unterscheidet sich völlig von den nördlichen und östlichen Nachbarländern. Es gibt wenig Gewalt, und die Einheimischen, Nachfahren der Inkas, sind unglaublich klein, höflich und leben wie in einer anderen Welt. Der Äquator selbst ist durch einen Erdball aus Zement dargestellt. In der Nähe kauften wir Ledertaschen für die Freunde, und in der Hauptstadt Quito waren sowohl die Bauten als auch die Preise wunderbar.
Auf dem Weg nach Guayaquil, der zweitgrößten Stadt Ecuadors, wäre Pedro beinahe seine Kamera losgeworden. Eifrig dabei, etwas örtliche Farbigkeit einzufangen, hatte er einen Polizisten bei der Entgegennahme von Schmiergeld gefilmt.
Es gab schon Ungewöhnliches hier. Einige anziehende Damen auf der Straße, die mit tiefen Stimmen meine Männlichkeit lobten, waren wohl tatsächlich Herren. Die größte Überraschung gab es jedoch für unseren Gastgeber: Ich hängte ihm, wie ich es oft mache, für die Nacht meinen Gau um, und obwohl er sich niemals an Träume erinnerte, sah er diese Nacht Männer in roten Roben und gewaltige Berge. Offensichtlich hatte Karmapas Segen einige versteckte Erinnerungen in ihm geweckt, und schon wollte er in den Himalaya.
Am Äquator
Nach weiteren Bananenplantagen erreichten wir die peruanische Grenze. Sie schloss einfach um 18 Uhr; auf keinen Fall aber wollten wir in dem wenig anheimelnden Grenzdorf übernachten. Während wir mit schwerem Gepäck in Richtung Grenze liefen, zeigte sich das Gefühl so vieler armer Menschen den Weißen gegenüber. In die Hände klatschend, riefen sie höhnisch: “Lauft, weiße Männer, lauft! Die Grenze ist sowieso zu!” Aber sie irrten sich: Zehn Dollar für den Beamten in Ecuador und fünfzehn Dollar für den Herrn in Peru verschafften uns die besten Dienstleistungen.
So vermieden wir einen der unangenehmsten Zölle Südamerikas, mussten dann allerdings feststellen, dass nachts kein Bus nach Lima fuhr. Also mieteten wir für die fünf Stunden zur nächsten Stadt zwei klapprige Taxis mit Fahrern, die recht gaunerhaft wirkten. Das Glück blieb: in der stockdunklen Wüstennacht wählten sie gerade an den Stellen Nebenstrecken zum Panamericana Highway, an denen sich die Überfälle häuften. Wie so oft, wenn meine Schützer zu tun haben und nicht gestört werden wollen, döste ich fast den ganzen Weg. Die Fahrer waren ihrerseits nur wegen ihres Vertrauens zu mir nachts gefahren und machten jetzt große Augen: Mehrere Busse und Taxis waren während der letzten Stunden ausgeraubt worden, und eine Spanierin war erschossen worden, da sie den Räubern nichts
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