Über Alle Grenzen
Rippen, Detlev und ich schubsten sie mit unseren Bäuchen hin und her. Mit Hannah und Ulla an den Fenstern hatten wir auch Augen und Ohren. Abgesehen vom Kater der vorherigen Nacht hatten wir nur Spaß, zwei andere Wagen wurden jedoch ausgeraubt.
Zu Gast bei Gerhard
Der Titicacasee, der höchstgelegene See der Welt, ist tiefblau und unendlich still. Die Fähren setzten Menschen und Busse getrennt hinüber. Boliviens Hauptstadt La Paz war eine echte Überraschung. Es gab wenig Slums, und die Umgebung ähnelte Tibet. Mitten in der Stadt verkauften sie Glücksbringer und Werkzeug für Zauberer, und man sah dieselben billigen chinesischen Verbrauchsgüter wie in Nepal.
Ein unglaublicher Luxuszug fuhr uns Richtung Süden. In den Weiten Argentiniens war der Kagyü-Buddhismus ein völliges Durcheinander. Obwohl der Zustand der geistigen Zentren eines Landes letztendlich vom Karma der Menschen abhängt, hatten Fremde hier kräftig zur Verwirrung beigetragen. Wer den Mut und die Reife besaß, den Raum als Reichtum und Möglichkeit zu sehen – die Hauptvoraussetzung für eine erfolgreiche Praxis des Diamantwegs –, hing völlig in der Luft. In Buenos Aires war die Arbeit wegen zu vieler Gerüchte zerfallen, und in Córdoba hatte ein bhutanesischer Lama von Kalu Rinpoche, der in Frankreich lebte, ein Zentrum gegründet, war aber später aufgrund einiger Verletzungen durch schwere Unfällen nicht wieder zurückgekehrt. Spätere Besuche von Lehrern derselben Schule waren ohne gegenseitige Absprache gelaufen, und wie üblich hatte keiner die örtlichen Hoffnungsträger ermächtigt, selbst etwas zu tun. Also lebten die Leute auch hier in Erinnerung und Erwartung, und wie in Caracas war dann der Rinpoche aus Neapel zu Besuch gekommen. Er hatte einen schön gelegenen Hof in der Nähe gekauft, und ein Großteil des kränkelnden Zentrums war seinem Verein beigetreten.
Zu den Vorträgen kamen nur wenige, die noch dazu den Buddhismus am liebsten für sich selbst behalten wollten. Sie hatten auch wenig Lust, zwischen Übertragungslinien und Fachsprachen zu unterscheiden. Ich tat also das Möglichste und segnete einfach, was war. So blieben sie zumindest buddhistisch beeinflusst. Auf menschlicher Ebene gab es aber genug Verantwortung: Die Menschen waren sehr verunsichert – auch vom Verfall ihrer Währung – und kamen Tag und Nacht.
Mit dem nächsten Bus fuhren wir westlich zum Fuß der Anden. Von dort aus hatte der Heerführer San Martin im letzten Jahrhundert die hohen Pässe überquert und die spanischen Truppen in Chile sehr unangenehm überrascht. Die riesigen Bergseiten zum Stillen Ozean hin sahen aus wie eine Mondlandschaft, aber dennoch spürte man, dass Chile das wirtschaftlich gesündeste Land Südamerikas ist. Es war kurz vor der Wahl, durch die Pinochets Militärregierung gehen musste, und die Leute benahmen sich unerwartet frei. In Santiago stellte eine Medizinstudentin fest, dass ich den Blutdruck eines Zwanzigjährigen hatte, und Hannah war den Messungen zufolge um die fünfzehn. Nach zwei Nächten in einem sonderbaren Hotel, das der Schwingung nach irgendwelchen sexuellen Randgruppen diente, verließen wir nach anderthalb Monaten Südamerika.
Sechs Stunden dauerte der Flug über den Stillen Ozean zur Osterinsel, ein Drittel des Wegs nach Neuseeland. 4.000 Kilometer vom nächsten Festland entfernt war die Landschaft dieses chilenischen Naturschutzgebietes begeisterungswürdig. Die großen Steintorsos, die diese erloschenen Vulkane so berühmt machen, gefielen mir zutiefst. Ich war sofort überzeugt, dass sie eigentlich Buddhas darstellen. Oberflächlich betrachtet sehen sie zwar etwas eckig aus, aber die Schwingungen stimmen. Sie blicken zur Insel hin, um sie zu segnen, und nicht auf das Meer hinaus, um sie zu schützen. Zweifellos sollen sie eine gute Kraft verbreiten. Einige Einzelheiten können wohl auch kaum Zufall sein, wie zum Beispiel die Größenverhältnisse der Ohren und eine Handstellung, wie sie zur Erzeugung von “Innerer Hitze” (Tumo) verwendet wird. So saß vor tausend Jahren auch der tibetische Verwirklicher Milarepa in Meditationsstellung.
Hannah!
Vor 1.500 Jahren hatten vermutlich polynesische Fischer mit Staunen Buddhastatuen auf Bali angegafft. Auf ihren Bootsreisen ostwärts war die Erinnerung daran von Vater zu Sohn weitergereicht worden, bis die Lavasteine der Osterinsel ihre Umsetzung ermöglichten. Bei späteren Stammesfehden hatten die Bewohner gegenseitig ihre Statuen umgekippt,
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