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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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hatte geben wollen.
    Den am meisten heruntergekommenen Bus, den wir in Südamerika sahen, erwischten wir für die letzte Strecke nach Lima. Auf dem Boden stand das Maschinenöl, die Sitze waren völlig zerrissen und verschmiert. Nach hundert Metern verreckte der Motor, und nach weiteren hundert Metern war der Tank leer. Als wir endlich fuhren, ließ der Busfahrer kein Schlagloch aus. Überall gab es die üblichen Zeichen einer Wüste, die das fruchtbare Land verschlingt: Ob es den Mullahs und dem Papst gefällt oder nicht – wenn sie menschenwürdig leben wollen, müssen die armen Länder rasch ihre Bevölkerungszahlen verringern.
    Im trockenen Lima, beim tiefblauen Stillen Ozean, empfing uns Ricardo. Er hatte in Polen studiert und war dort 1985 mein Schüler geworden. Jetzt unterrichtete er als Kunstlehrer und wollte seiner Stadt ein buddhistisches Zentrum anbieten. Innerhalb von drei Tagen füllte sich sein Haus im früher so reichen Miraflores immer mehr: Dutzende nahmen Zuflucht, und eine feste Dharmagruppe entstand.
    Peru war das ärmste Land, das wir bis dahin gesehen hatten. Als Ulla und Detlev einmal an der falschen Bushaltestelle ausstiegen, teilten sie Tomeks Erfahrung aus Manila. Sie erfuhren mehr vom Hass der Slums, als ihnen lieb war. Ein Langfinger leistete etwas Besonderes und stahl im Gedränge während der Fahrt unsere Reisepässe aus Hannahs Handtasche. Im Osten hatte das keiner geschafft.
    Nach Ansicht amerikanischer Behörden wurde Lima so gefährlich wie früher Beirut. Die maoistischen Guerillas namens “Leuchtender Pfad” hielten mittlerweile große Teile Perus fest in ihrer Hand. Ihrem schönen Namen zum Trotz verwendeten sie dieselben Mittel wie die “Roten Khmer” in Kambodscha und brachten ca. 27.000 Menschen um, bis Guzman, ihr Leiter, gefangen wurde. Damals töteten sie gezielt Touristen. Durch die Zerstörung der Wirtschaft hofften sie, einen Bürgerkrieg zu entfachen, den sie dann gewinnen wollten. Ein paar Wochen zuvor hatten sie beispielsweise zwei französische Mädchen aus dem Bus geholt und an der Straße erschossen, nur aufgrund ihrer weißen Hautfarbe. Genau diese Gegend hatte man uns empfohlen zu umgehen, und so flogen wir nach Cuzco, der Hauptstadt des alten Inkareiches.

    Der Doppelgänger

    Gerhard aus Schwarzenberg holte uns am Flughafen ab. Er war ein kraftvoller Idealist. Nach fünf Jahren als Entwicklungshelfer kannte er die Gegend in- und auswendig. Er zeigte uns die Festungen und Tempel der Inkas, die sich auf derselben atemberaubenden Höhe wie Lhasa befinden. Mit ihm und seiner einheimischen Freundin wohnten wir an einem Berghang oberhalb der Stadt und ritten seine beiden schnellen Hengste. Die Gegend bot alles: Indiohöfe, Gebirgsbäche, Lamas und Guerillas. Ihr Bereich fing schon hinter den Bergen an; dort töteten sie jeden Beamten und sprengten das Vieh mit Dynamit in die Luft. Der Ring um Cuzco zog sich immer enger, und der Tourismus hatte schon stark gelitten. Das war sehr schlimm für die Einheimischen, die ihre großen Sippen durch das Geld der Fremden ernährten. Ich verwendete meinen Revolver das einzige Mal auf der Reise für ein paar Schießübungen und vergiftete mich abends mit einigen Gallonen frischen Zuckerweins, so dass ich das übermäßige Trinken beendete. Das Leben ist einfach zu kurz für einen “Kater”.
    Eine Busfahrt zum Titicacasee, durch den die Grenze zwischen Peru und Bolivien verläuft, war wegen der Guerillas nicht empfehlenswert. Also nahmen wir einen örtlichen Zug voller Indios und Händler. Er durchquerte die Anden in 4.000 Metern Höhe und bot einen Blick über weite Ebenen mit komisch aussehenden Alpaka- und Lamaherden, oft mit Schneebergen am Horizont. Kurz nach Sonnenuntergang stoppte der Zug, die Einheimischen sagten, “Jetzt kommen die Räuber!” und machten sich schnell davon. Der Zugführer schien mit den Banditen zusammenzuarbeiten, er fuhr auf ein Abstellgleis und machte die Beleuchtung im Zug aus. Dann fing ein ziemlicher Aufstand an: Gruppen von untersetzten, aber kräftigen Herren in blauen Sportjacken bewegten sich durch die Zugwagen und beobachteten unverhohlen Reisende und Gepäck. Obwohl sie sicher Polizisten waren, die ihre Hungerlöhne aufbessern wollten, waren keine Schusswaffen zu sehen. Unsere nordischen Größen überzeugten sie, weiterzugehen. Wir waren auch nicht einladend: Tomek blendete sie mit einer Taschenlampe, Pedro drückte ihnen ein Bundeswehrbajonett – in der Scheide – zwischen die

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