Über Alle Grenzen
fuhren sofort mit doppelter Geschwindigkeit. Wir schafften es einfach nicht, wie die Amerikaner herumzukriechen. Dafür hätte es einer Hand voll Schlaftabletten vor jeder Fahrt bedurft.
Reiche und berühmte Leute kamen und gingen. Oft war es möglich, privat bei Karmapa und Jamgön Kongtrul Rinpoche zu sein. Sie hatten hier viel mehr Freizeit, als wir ihnen in Europa zugestanden hätten.
In Karmapas Kraftkreis kam keine Langeweile auf. Lex und Sheila, Unterstützer von Tomo Geshe Rinpoche, riefen eines Nachts an. Sie wollten unbedingt ihren ausgeliehenen VW-Bus zurückhaben. Das war eine gute Gelegenheit, New York bei Nacht zu sehen. Hannah wäre gerne mitgekommen, aber Karmapa bat sie zu bleiben, um einer dänischen Geschäftsfrau die 16. Karmapa-Meditation zu erklären. Es wurde eine unterhaltsame Fahrt, und ich war froh, dass Hannah nicht dabei war. Mitten in Harlem fiel die Elektrik des Autos aus. Ich verbrachte Stunden damit, den Wagen in diesem Ghetto, wo man selbst tagsüber kein weißes Gesicht zeigen sollte, wieder anzuschieben. Erst in den frühen Morgenstunden erreichte ich das schöne Haus von Lex und Sheila am Fluss in der Bronx.
Beim Frühstück lernte ich die Familie kennen. Lex und ich hatten 1958 das gleiche Internat besucht. Lex erinnerte sich immer noch, wie wild ich gewesen war, wie ungeeignet für jede Dressur. Er leitete jetzt ein New-Age-Programm bei einem Privatsender in der Stadt und stellte mir eine Stunde im Rundfunk zur Verfügung, die ein großer Erfolg wurde. Viele riefen an, und Hannah erzählte mir später, dass Karmapa zugehört und viel dabei gelacht habe. Solange Lex die Leitung des Senders innehatte, fingen meine folgenden Amerikabesuche immer mit einer Live-Sendung und anschließenden Hörer-Fragen an. Die letzten Jahre drückte er mir nur noch den Studioschlüssel in die Hand. Ein großer Teil derjenigen, die die Diamantweg-Zentren der Karma-Kagyü-Linie New Yorks heute unterstützen, bekamen durch diese Vorträge ihre erste Verbindung; später schrieb Lex selbst ein Buch über Buddhismus.
Die nächsten Tage verbrachten wir alle bei Lex. Viele bekannte Leute erhielten Karmapas Segen, aber alles blieb an der Oberfläche. Wir erreichten die Menschen nicht so wie in Europa. Nur selten entstand die beste Grundlage für Wachstum: Hingabe. Höchstwahrscheinlich dachten die meisten, schon zu wissen, was sie brauchten. Wenn Stolz stärker ist als Begierde, werden tiefe Bände verhindert. Diese Leute wollten eine Show und keinen Lehrer.
Während der nächsten Wochen in New York stand Karmapa das gesamte oberste Stockwerk des Plaza-Hotels am Central Park zur Verfügung. Dank seines Gastgebers, dem Dharmadhatu-Verein, war er fast unerreichbar. Die einzigen, denen der Zugang gelang, waren unsere europäischen Freunde. Wir schmuggelten voller Freude fast täglich einige zu ihm hinein, ganz egal, wie viele ihrer Wachen ich auch beiseite schieben oder austricksen musste. Es ging einfach nicht, einen Bodhisattva, der zum Besten aller Wesen da ist, wie einen Präsidenten abzuschirmen.
In der schönen Halle des teuren Hotels zeigte Karmapa, dass er auf eine ordentliche Ausbildung bestand. Auf seine Einladung hin nahmen wir an einer lang vorbereiteten Begegnung mit Vajradhatu teil, den Hauptschülern Trungpa Tulkus. Nun war ihre Zeit für Fragen an den höchsten Lehrer gekommen. Unter den etwa fünfzig Schlipsträgern waren mehrere bekannte Gesichter, wie zum Beispiel Allen Ginsberg. Er wollte über Homosexualität und Umweltverschmutzung mit uns reden. Wir konnten aber wenig zu diesen Gebieten beitragen, und so bestellte er stattdessen unser damals einziges Buch auf Englisch, Kalu Rinpoches Belehrungen. Ob berühmt oder nicht: Die Fragen der Zuhörer waren aus der Luft gegriffen, eine Tasse dünner New-Age-Tee.
Als es schon jenseits von peinlich war, sagte Karmapa plötzlich: “Von einer Sache weiß ich, dass ihr sie gelernt habt: zu sitzen! Macht jetzt den vollen Lotussitz.” Es sah von unserem Platz so aus, als würden nur Hannah und ich die Beine ganz kreuzen, aber wegen der hohen Kissen waren wenigstens alle Rücken gerade. Weil ich Karmapa so sehr liebe, wusste ich auch, was er jetzt vorhatte: Plötzlich warf er seinen kraftvollen Körper nach vorne und rief laut “Phe!”. Ich rollte auf dem Boden vor Lachen, während Karmapa schnell den Saal verließ. Einen Augenblick später kam Jamgön Kongtrul Rinpoche herein und fing an: “Buddha war ein Prinz in Indien
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