Über Alle Grenzen
Gyaltsen und eine gefühlsstarke schottische Übersetzerin, Yeshe Khandro, in Paris ab. Dort erhielt ich das erste Mal Geld für eine Belehrung. Ich konnte mir nicht vorstellen, was der Umschlag, der mir in die Hand gelegt wurde, enthielt. Es fühlte sich schwer an. Damals waren die Zehn-Franc-Stücke gerade erschienen, und ich ging sofort zu Kalu Rinpoche, um ihn zu fragen, was ich damit machen solle. “Behalte es, es ist deines”, sagte er, “du arbeitest ja sowieso ununterbrochen für die Lehre.” Kurze Zeit später bezahlte Karmapa unsere Reise nach Irland, um dort das erste Zentrum zu starten. Während er jedem von uns einen gesegneten Geldschein gab, sagte er: “Jetzt wird euch nichts mehr fehlen. Wenn ihr eure Einstellung rein haltet, werden eure Vorhaben immer gelingen.”
In Holland herrschte nach wie vor ein Gemisch aus Theosophie und Buddhismus, aber die Menschen waren wieder großzügig, was ich inzwischen zu schätzen gelernt hatte. Die Zeit, in der ich nicht für Geld arbeiten musste, gehörte vollständig Karmapa. Das war sinnvoll und fühlte sich gut an. So teilten die Spender und wir sowohl die Arbeit als auch das viele Gute, das überall geschah.
Obwohl Holländer gerne mehrere Pferde gleichzeitig reiten wollen, bildete sich allmählich eine kleine Diamantweg-Gruppe heraus. Es wuchsen sogar die Pläne für ein großes Zentrum, einen sechsstöckigen Turm mit Wassergraben.
Belgien bestand für uns nur aus Antwerpen. Nach einer Liebevolle Augen-Einweihung band mir Kalu Rinpoche beim Abschied eine Segensschnur um den Hals, die sich wie ein Feuerring anfühlte. Ich schluckte und fragte ihn: “Wessen Energie ist das?” “Die von Schützer Pferdekopf ”, antwortete er.
Pferdekopf
Weiter nördlich in Osterade war der Empfang rührend, es gibt kein anderes Wort dafür. Unsere Medizin- und Psychologie-Studenten nahmen Kalu Rinpoche so selbstverständlich an, als wären wir im alten Tibet.
Viele hatten schon die Schwarze Krone gesehen oder Kalu Rinpoche in Frankreich oder Schottland besucht. Damals war der Belehrungsstil zu beiden Seiten des Rheins viel ähnlicher als heute. Seit den 80er Jahren hatte Mitteleuropa zum Westen hin fast nur Verbindung mit Karmapas Zentrum in der Dordogne. In Richtung Osten bis nach Wladiwostok ist die Arbeit jedoch bestens vernetzt. Auch an den südlichen Grenzen Europas - wenn man Ex-Jugoslawien noch zu diesem Erdteil hinzurechnen kann - stehen wir auf zwei geschichtsträchtigen Pfeilern. Im Südwesten bei Malaga in Spanien bauten wir als Schutz gegen den Islam und die Einflüsse Afrikas die Zurückziehungsstelle “Karma Gön”. Hier verließen die letzten Araber Europa. Im Südosten bei Korinth in Griechenland, wo die Spartaner Europa vor den Iranern retteten, soll die Zurückziehungsstelle “Karma Berchen Ling” gleichfalls die Einflüsse der Frauenunterdrückung und der heiligen Kriege von unserer Welt fernhalten.
Durch jährliche Kurse Künzig Shamarpas und wegen der Fähigkeiten seines Bruders Jigme Rinpoche ist “Dhagpo Kagyu Ling” in der Dordogne ein wichtiges Zentrum. Der Meditationsmeister Gendün Rinpoche lehrte dort von 1975 bis 1997. Vorher hatte er dreißig Jahre in Zurückziehung im Osten verbracht, was ihm offensichtlich sehr gefiel: Als Karmapa Leute schickte, um ihn abzuholen, versteckte er sich mehrere Male unter seinem Bett, und erst nachdem Karmapa ihn spüren ließ, dass er jetzt unbedingt kommen solle, gab Gendün Rinpoche seinen Widerstand auf. Als wir ihn damals am Flughafen in Paris abholten, dachten viele, er habe eine Augenkrankheit. Der Grund seiner Tränen war jedoch Mitgefühl. Die starken gesellschaftlichen Unfreiheiten und körperlichen Leiden in Asien kannte er wohl, doch das gefühlsmäßige Durcheinander des Westens war ihm neu.
Gendün Rinpoche
Kalu Rinpoches Besuch bei der “Weißen Bruderschaft”, einer neureligiösen Gruppe in Jütland in Dänemark, zeigte die Bandbreite seines Wissens. Der dort ansässige Guru, ein Engländer, hatte ein an Darmverschlingung erinnerndes Chakra-System entwickelt. Offenbar fürchtete er, Schüler an den netten Tibeter zu verlieren. Kalu Rinpoche begrenzte deshalb seinen Vortrag ausschließlich auf die Medizin. Den ganzen Abend gab er Auskünfte, die wir weder vorher noch später hörten. Obwohl wir uns nicht mehr genau an den Vortrag erinnern, staunten wir wieder einmal über sein Wissen.
In Kopenhagen lehrte Kalu Rinpoche in der Nicolai-Kirche. Anschließend nahmen wir die
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