Über Alle Grenzen
im Wege standen, setzte das eine ungeheure Kraft frei. Ich weiß aber heute, wo sie zu finden sind. Sie sind für besondere Zwecke schon nützlich, nur dürfen sie weder das Verhalten bestimmen noch Handlungen verzögern.
Rote Weisheit
Im Juni 1976 war Kalu Rinpoche in Frankreich, um die erste der dreijährigen Mönchs- und Nonnen-Zurückziehungen einzuleiten. Er bat uns, an den Vorbereitungen teilzunehmen und mitzuhelfen. So verbrachten wir den Juni bei ihm, schleppten tagsüber Steine für die Zurückziehungszellen, meditierten nachts auf Rote Weisheit und besuchten die Belehrungen der Zurückziehungs-Anwärter. Es war reiner Urlaub, wieder selbst Unterricht zu erhalten, und bei Kalu Rinpoche zu sein, war zeitlos schön. Unter den Schülern, die immer mehr seinen Verein übernahmen, gab es jedoch wenig zu lachen. Für meinen Geschmack waren sie viel zu heilig und spielten ständig “Kirche”. Außerdem konnte ich ihre Neigung, mehrere Jahre nur unter Geschlechtsgenossen zu verbringen, gar nicht verstehen. Ich dachte, dass es für mein Wohlbefinden nicht gesund sein könne. Hannah, immer etwas tugendhafter, lag der Gedanke nicht ganz so fern. Sie war erst richtig beruhigt, als Karmapa einige Monate später sagte: “Wenn ihr euch zurückzieht, wer wird dann meine Zentren machen? Ich verspreche euch genau dieselbe Entwicklung durch eure Arbeit für mich wie durch eine geschlossene Zurückziehung, und zusätzlich unendlich viel Kraft.”
Wieder machte das Schloss Plaige deutlich, wie grundlegend unterschiedlich sich die Lehre im romanischen und im germanischen Europa verbreitete. Frankreich entwickelte sich kirchenähnlich und hierarchisch, während unsere Gruppen östlich des Rheins wie das Gras wuchsen. Sie entstanden spontan, geprägt nur durch Karmapas Wünsche, das Karma der Menschen und unsere starken Bände und Freundschaften. Das Benehmen war entsprechend - bürgerlich feingeistig beziehungsweise herzlich und klar.
Als die wilden Germanen kamen, wurden die Franzosen oft verschreckt. Diesmal, als fünfzig Bewohner aus der Hippiekolonie Christiania anreisten, um “den freundlichen Kalu Rinpoche” zu besuchen, war es besonders wild. Es fand leider, wie meistens auf der Welt, keine Annäherung der Kulturen statt. Die Mädchen pinkelten mit nacktem Hintern vor den erschütterten Mönchen und stillten bei den Einweihungen ihre Kinder. Die Nachbarn des Schlosses riefen an und fragten, ob die fremden Männer bitte ihre großen Messer, die sie an ihren Gürteln trugen, ablegen könnten. Obwohl wir die meisten Leute kaum kannten und nichts mit ihrem Besuch zu tun hatten, wurde dadurch Hannahs und mein guter Ruf etwas getrübt. Das Heil kam nur noch bedingt aus dem frischen Norden.
Bei den folgenden Blitzfahrten durch Mitteleuropa zeigten mir die Schützer ihre Kraftfelder. Im Hamburger Völkerkundemuseum lächelte mich Weißer Schirm an, errötete und trat aus dem Rollbild heraus. Als die Vitrine geöffnet wurde und ich meinen Kopf an das Rollbild legte, klapperten meine Zähne laut, und mein Körper erschauerte wie im Kälteschock. Es war so kraftvoll wie ein Segen Karmapas. In Köln stand Strahlende Göttin , die Partnerin von Schwarzer Mantel, in einer Ausstellung lebendig vor mir, und in München breitete Sechsarmiger Großer Schwarzer seine schützende Kraft vom Völkerkundemuseum her aus. Durch unsere Arbeit für Karmapa sammeln sich diese Schützer heute im Kraftkreis um Schwarzer Mantel. Das ist die Form, die vor allem Karmapas Tatkraft ausdrückt. Halten die Leute ihre Bände, sorgen diese Energien dafür, dass ihre Entwicklung durch nichts behindert wird.
Unser nächstes Ziel, die Lehre nach Polen zu bringen, war ein großes Erlebnis. Wir nahmen den Zug von Wien durch die damalige Tschechoslowakei. Erst konnten wir kaum glauben, in welcher Weise die Behörden dort ihre Bürger behandelten - einfach wie Kühe. Völlig verarmt waren sie nicht, aber sie besaßen keinen Kampfgeist, was noch viel schlimmer ist. Im Unterschied dazu war Polen eine fast romantische Erfahrung. Die Menschen waren tief, etwas schüchtern und verträumt. Trotz jahrhundertelanger Unterdrückung, auch durch ihre Kirche, fand man bei ihnen Bewusstseinsebenen, denen man in hektischeren Teilen der Welt nur schwer begegnet. Dieses Land bot einen erstklassigen Boden für den Diamantweg, daran gab es keinen Zweifel.
Mit Familie Czapnik, Hanna und Krysztoph
Wladyslaw Czapnik, ein großer und warmherziger Mann, hatte durch einen
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