Über Alle Grenzen
Stadtzentrum, liegt darin wie eine kleine Insel im riesigen Meer.
Ich kam gerade zur rechten Zeit. Karmapas Vogelpfleger Joel, der sich so sehr in Hannah verliebt hatte, war vor kurzem bei einem Unfall gestorben. Das ist in der “nahen Familie” eher ungewöhnlich. Natürlich haben viele meiner Freunde und Schüler Unfälle. Sind karmisch genügend tote chinesische Soldaten oder geklaute Pferde aus dem letzten Leben zu bezahlen, können nicht nur Blechschäden vorkommen. Aber nur bei wenigen ist das persönliche Karma nach der Zuflucht noch so stark, dass es zu schweren körperlichen Verletzungen kommt. Im Fall von Joel hatte es aber besondere Bedingungen gegeben. Karmapa hatte ihm sieben Dinge gesagt, die er unbedingt beachten sollte: mit der Arbeit in einer Bar nördlich von Los Angeles aufhören, nicht mehr betrunken Auto fahren, täglich die “Befreierin” anrufen, Karmapa in Indien besuchen und einiges mehr, an das ich mich nicht mehr erinnere. Er hielt sich nicht an die Ratschläge, und eines schönen Morgens wickelte er mit viel Promille sein Auto um eine Palme. Rumtek hatte die Nachricht bereits erhalten. Ein tibetischer Lama war vor Ort gewesen, und ich freute mich, ihm auch einige gute Wünsche mitschicken zu können. Jeder mochte Joel, aber wie die meisten Menschen hatte er seine Trips viel zu ernst genommen.
Barbara Pettee kam nach Los Angeles, um mich bei ihren Bekannten einzuführen. Ich hielt einige Vorträge für eine Gruppe reicher Leute, die aber leider wenig Offenheit für ihren Geist hatten. Die Hauptkräfte zogen später nach Seattle. Es war wie so oft mit denjenigen, die in der Gesellschaft gut standen: Jeder wollte berühmt sein, aber niemand wollte zusammenarbeiten. Auch in dieser verchromten Stadt war die Arbeit mit Späthippies und anderen Idealisten am sinnvollsten; sie wollten etwas lernen und weiterkommen. Nachdem wir Freunde geworden waren, folgten das Vertrauen zur Lehre und die kürzeren Haare von selbst.
Ein paar Autostunden westlich der Stadt lebten noch die 60er Jahre. Die verschneiten Berge dort verbargen einige Hanf rauchende Leute. Sie waren begeistert, jetzt dauerhaft wirksame Mittel kennen zu lernen, und hofften sogar, Karmapa später einladen zu können. Hier traf ich zum ersten Mal die großzügige Robin mit ihren netten Kindern. Jedes Mal, wenn sie von meiner Hütte wegfahren wollte, verweigerte ihr Auto den Dienst. Wie so oft in Amerika zerstreute sich die Gruppe, die Verbindungen aber blieben. Die meisten tauchen noch heute zu meinen Vorträgen in unterschiedlichen Ecken des Landes auf.
Robin zog später nach Fallbrook, der Avocado-Hauptstadt der Welt, zwischen San Diego und Los Angeles, etwas abseits von der Küste. Sie öffnete dieses Gebiet für unsere Linie, und die Wochen, die ich bei meinen jährlichen Besuchen dort verbrachte, kamen wohl einem normalen Familienleben am nächsten. In diesem Gebiet hausten einige außergewöhnliche Einzelgänger, wie man sie in Europa selten findet. In früheren Lebenszeiten waren sie sicher die umherziehenden Händler meines Stammes gewesen, während die so gut zusammengeschweißten Europäer meine Soldaten und Gelehrten waren. Feine Verwirklicher und weisheitstragende Frauen gibt es im Westen glücklicherweise überall.
Als eines Tages ein Vortrag ausfiel, fuhren Barbara und ich in die kalifornische Halbwüste. Hier hatte man Karmapa einen alten Hof für Zurückziehungen versprochen, den wir uns erst einmal anschauen wollten. Das letzte großzügige Geschenk war eine Bergspitze in der Wüste gewesen, die man nur mit dem Hubschrauber erreichen konnte. Der Besitzer des Landes am Fuß des Berges war schwierig und schoss auf Besucher.
In Santa Barbara weiter im Norden kamen vorwiegend ältere Leute. Über die Jahre wurde dieser Ort zu einer häufigen Anlaufstelle. Wie groß die Horden auch waren, die mit uns reisten: Wir waren immer willkommen. In Santa Barbara war man gebildet und hatte genügend Zeit für ein Innenleben. Meine Aufgabe aber war hier wie überall in Amerika: Einsgerichtetheit zu lehren und den Geschmack der Menschen für reine Worte auch auf Ergebnisse zu erweitern. Das letztere sollte nicht einfach werden. Die Beeinflussung von “Ojai”, Krishnamurtis Hauptzentrum in Kalifornien, war sehr stark. Er hatte seine Leute jahrelang mit den schönsten Worten über das Absolute beglückt, ohne ihnen jedoch Mittel zu geben, es auch erleben zu können. Schon im hohen Alter angekommen, mussten sie sich nun von diesem
Weitere Kostenlose Bücher