Über Alle Grenzen
spürbar. In dem klaren Mondlicht sah es wie ein Stück Geschichte aus, in das man direkt eintreten konnte.
Die halbe Nacht verbrachten wir in einer Diskothek. Am nächsten Tag flogen wir zu einigen neu entdeckten Heiligtümern der Mayas. Tief im Urwald gelegen, waren sie nur aus der Luft erreichbar. Findet man die Azteken grausam, dann waren die Mayas verdreht. Sie bestätigten das Sprichwort der alten Griechen: “Wen die Götter zerstören wollen, den machen sie zuerst verrückt.” Jahrhunderte lang lebte der kriegerische Stamm im südwestlichen Mexiko und richtete wegen seiner Inzucht wahrscheinlich den größten Schaden an der eigenen Erbmasse an. Die Abbildungen in ihren Tempeln zeigen Menschen von sehr außergewöhnlichen Körpermaßen, die sich noch dazu furchtbar foltern. Die alten Nubier, Ägypter und Perser, die ähnliche Sitten hatten, müssen im Vergleich zu ihnen menschlicher ausgesehen haben.
Eines Tages brachen die Mayas dann plötzlich auf und verließen ihr Gebiet. Sie wurden Kannibalen und zogen zur Yucatan-Halbinsel im Südosten, gerade rechtzeitig, um von den Spaniern abgeschlachtet zu werden. Es war ein Trip, in den gut erhaltenen Ruinen herumzuwandern und ihre Gesellschaftsspiele zu erahnen.
Das einzige Gebäude, in das man hineingehen konnte - ein hohles Königsgrab -, fühlte sich sehr fremd an. Diese Kultur war sicher eine Sackgasse unter den Entwicklungsmöglichkeiten des Geistes gewesen, und ich bin überzeugt, niemals dort gelebt zu haben. Andere glauben dafür, dort geopfert worden zu sein, wie die schöne Adriana aus Kolumbien, die bei einem Besuch einfach durchdrehte. Die Forscher, die nachvollziehen wollen, was in den Köpfen der Mayas vorgegangen sein mag, bräuchten nur einige der dünnen hellen Pilze zu essen, die dort überall an den Berghängen wachsen. Die Hippies sammelten sie mit Vorliebe, denn sie enthalten Psylocybin, das ungefähr wie LSD wirkt.
Cesar musste plötzlich zurückfliegen; Yoshiko und ich fuhren zum berühmten Acapulco an Mexikos Westküste. Dort war ein großer Teil von dem Hanf angebaut worden, der die Jugend Amerikas in den 60er Jahren beflügelt hatte. Eine Lehrerfamilie, die unter den ärmsten Indianern arbeitete, nahm Zuflucht.
Wenige Nächte später, als Yoshiko und ich zurück nach Mexico City fuhren, brauchten wir keine Scheinwerfer mehr. Ein Gewitter zog auf, und die ununterbrochenen Blitze erhellten die kurvige Bergstraße völlig, während wir auf einem dicken Wasserteppich dahinschlitterten. Es war einmalig.
Ein Amerikaner lud uns nach Guadalajara ein. Es ist die zweitgrößte Stadt Mexikos, wärmer und angenehmer als Mexico City. Wieder war der Weg eine Freude an sich. Wir hatten diesmal einen großen amerikanischen Wagen, der weder durch Automatikgetriebe noch “Sofafederung” oder Katalysator kastriert war. Er hatte einen kraftvollen V8-Motor, und ich wusste gar nicht, dass die Amerikaner so etwas bauen konnten. Doch mit dem damaligen Benzinpreis von acht Cent pro Liter war alles möglich.
Nach einem Vortrag schliefen wir in einer geschichtsträchtigen Wohnung, in der Maharishi, der Begründer der Transzendentalen Meditation, seinen “Worldplan” entworfen hatte. Während ich seine Aufzeichnungen in den Händen hielt, wünschte ich stark, unzähligen Wesen nutzen zu können, ohne dabei die zeitlose Tiefe von Buddhas Belehrungen zu verlieren.
Mexiko ist eine Kultur für sich. Als ich in Los Angeles aus dem Flugzeug stieg, war ich in einer ganz anderen Welt. Diese gewaltige Stadt war klar, einsgerichtet und willensbetont. Sie wird oft mit New York verglichen, was aber fast nie zutrifft. Die Erlebnisebene der New Yorker ist ehrlicher und sozialer. Obwohl es nicht viel Sinn hat, große Dramen aus bedingten Gefühlen zu machen, die sich ihrem Wesen nach sowieso ständig ändern: in New York wussten die Menschen besser, wie sie zueinander standen. Buddhistisch gesehen passte es auch zum unterschwelligen Zorn von Los Angeles, dass das Atmen dort so schwierig ist.
Der indianische Name der Gegend heißt: “Die Stelle, wo der Rauch hängen bleibt.” Heutzutage sind es keine Indianerfeuer, sondern Millionen von Schornsteinen und Autos, die die Luft der Gegend verfeinern. Oft reibt man sich schon 100 Kilometer vor der Stadt die Augen, und im Sommer liegt das Gebiet um Los Angeles ständig unter einer sichtbaren grauroten Dunstwolke. Zwischen bis zu vierzehnspurigen Autobahnen stehen Unmengen ein- oder zweistöckiger Häuser. Downtown, das
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