Über das Trinken
Berufsverkehr – voll mit Restalkohol durch die Gegend fahren und es noch nicht einmal ahnen.
Wir, die wir diesen Kursus durchlaufen haben, haben uns im Gegensatz zu den versoffenen Scheinheiligen von der Boulevardpresse kein bißchen die Frage gestellt, wie die evangelische Bischöfin Käßmann im Frühjahr 2010 nur auf die Idee kommen konnte, sich mit 1,54 Promille hinters Steuer zu setzen, eine rote Ampel zu überfahren und dann von der Polizei erwischt zu werden. Denn wir wissen, daß das exakt die Sorte von Ideen ist, auf die man mit 1,54 Promille überhaupt erst kommt. Wir wissen, bis 0,5 Promille heißt es: »Ich kann noch fahren.« Ab 0,5 Promille: »Ich nehme ein Taxi.« Irgendwo jenseits von 0,8 jedoch: »Ach was, natürlich kann ich fahren!« Ab 0,8 Promille kann man nicht mehr »noch fahren«, ab 0,8 kann man es wieder! Denn das ist ja der Job des Alkohols: Bedenken außer Kraft setzen, Stärken suggerieren.
Wir wissen sogar Dinge, die Frau Käßmann wahrscheinlich bis heute nicht ahnt: Die gewesene Bischöfin kann ihrem Herrgott nämlich dankbar sein, daß sie bei ihrer Trunkenheitsfahrt auch gleich eine rote Ampel mitgenommen hat. Das zweite Vergehen relativiert das erste ein wenig. Jedenfalls im Hinblick auf eine spätere MPU ist es immer praktischer, wilde Ausfallerscheinungen
zu zeigen. Es kann nämlich belegen helfen, daß man soviel, wie man hatte, gar nicht verträgt – geschweige denn regelmäßig trinkt und dann noch routiniert Auto fährt. Wer betrunken ist und es verleugnet, bringt sich auch hier um viel.
Was sollte man also tun?
Sich ein kontrolliertes Trinkverhalten zulegen.
Dessen Eckdaten sind, meinen Aufzeichnungen zufolge, diese hier:
– Nicht täglich!
– Mehr Wochentage ohne als mit!
– Nicht mehr als zehn Trinkeinheiten maximal! (»Trinkeinheit« = ein kleiner Schnaps (0,01 l), ein kleines Glas Wein (0,1 l), ein wirklich kleines Bier (0,2 l). Das mag als Maßangabe etwas lebensfern erscheinen, aber offenbar kommt man nur so auf ungefähr vergleichbare Alkoholmengen.)
– Mindestens so viele alkoholfreie Getränke wie alkoholische!
– Bei einer Sache bleiben!
– Und zwar der, die man wirklich mag.
– Und niemals Schnäpse aufschwatzen lassen! Weder von rundenschmeißenden Kumpanen noch von öligen Kellnern, die ohnehin nur die Höhe der Rechnung in trüben Alkoholnebeln zu kaschieren versuchen!
Das Frappierende daran ist: Dieser Maßnahmenkatalog läßt sich nicht nur als Einschränkung und Disziplinierung lesen, im Gegenteil: Er ist zugleich ein Programm zur Steigerung des Genusses, er dient am Ende sogar der Intensivierung des Rauschs. Eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung ist so gesehen für jemanden, der sowohl gern trinkt als auch gern fährt, das Beste, was ihm passieren kann.
Sie besteht, wie der Name schon sagt, aus einem medizinischen und einem psychologischen Test. Der psychologische gilt als der ungleich härtere. Trotzdem sollten Betroffene den medizinischen nicht unterschätzen. Wer es nicht gewöhnt ist, morgens auf nüchternen Magen mit geschlossenen Augen auf imaginären Linien durch das Sprechzimmer zu balancieren, dem kann es auch ohne irgendein Alkoholproblem passieren, daß er in den Ficus Benjamini stürzt. Auch das Treffen der Nasenspitze mit dem Finger ist bei geschlossenen oder sogar bei geöffneten Augen schon für manchen Nüchternen ein motorisches Problem. Man sollte diese Dinge also üben. Gerade denen, die sich für erfahrene Trinker halten, den Trinkfesten, die noch nach ein paar Gläsern alles im Griff zu haben meinen, gerade denen empfiehlt es sich außerdem sehr, nach dem Führerscheinentzug auch einen Alkoholentzug zu machen, deutlich weniger und seltener zu trinken – und dies durch die Entnahme von Blutproben vorher und hinterher auch zu dokumentieren. Die
Augen der Gutachter werden mit Wohlgefallen auf gesunkenen Leberwerten ruhen. So einer kann dann auch mit Berechtigung sagen: »Ich habe mein Trinkverhalten geändert und merke die Wirkung des Alkohols jetzt deutlicher und früher.« Denn auch das ist ein Satz, den die Verkehrspsychologen gerne hören.
Was sie ansonsten hören wollen, ist theoretisch ganz einfach, in der Praxis aber eine Herausforderung: Sie wollen, kurz gesagt, wissen, wie es dazu kommen konnte. Und wie man sicherstellen will, daß es in Zukunft nie wieder dazu kommen kann. Sie hören sich das mit größtmöglicher Skepsis an, sie wollen überzeugt werden.
Die Rückschau hat es dabei
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