Über das Trinken
sie ihn noch mehr hätten abfüllen können, habe er schnell nach Hause fahren wollen …
Kursleiter W. schaute geduldig. Er hörte solche Geschichten täglich.
»Und nun?« fragte er.
Nun werde er nie wieder etwas trinken, niemals in seinem Leben, erklärte der junge E., er hasse den Alkohol, verabscheue ihn, finde ihn ganz und gar fürchterlich.
So werde er den Führerschein aber leider ganz bestimmt nicht wiederbekommen, wurde ihm entgegnet. Hassen sei nämlich leider nicht das gleiche wie beherrschen. Es sei sogar so ziemlich das genaue Gegenteil davon.
Der Alkohol wurde uns hier als ein tückisches Biest nahegebracht, das man mal besser im Auge behalten solle, denn sonst falle es einen hinterrücks an, und dann sei man wehrlos, und dann mache es mit einem, was es will. W. hielt uns sogar einen Glaskolben vor die Nase, in dem er es dingfest gemacht hatte. Farblos und böse schwappte es darin herum. Alkohol, so der Kursleiter mit apokalyptischer Stimme, sei ein Nervengift. Alkohol verursache Krebs. Alkohol werde im Körper zu Acetaldehyd umgewandelt und fördere die Bildung von freien Radikalen, beides Zellgifte, die zur Schädigung des Erbgutes führen könnten.
Jemand kam ihm mit der Weisheit, daß Rotwein doch aber ganz gut fürs Herz sein solle.
Richtig, sagte der Kursleiter aggressiv, aber auf alle anderen Organe habe er eine schädigende Wirkung. Und daß wir ja abwägen könnten, was ein gesundes Herz wert sei, wenn der Rest des Körpers hin ist.
Es war eine Stimmung wie in einem Boot-Camp. Er stand da und kläffte, uns werde das leichtfertige Grinsen noch vergehen. Alkohol sei, »verdammt noch mal«, kein Spaß und im Straßenverkehr schon gar nicht. Und nein:
Es könne eben nicht »jedem mal passieren«. Es säßen nicht »alle« mal nach einem Glas zuviel noch im Auto, es trinke noch nicht einmal »jeder mal was«. »Zwanzig Prozent der Leute verbrauchen achtzig Prozent aller Alkoholika.« Und dabei schaute er, als säßen diese zwanzig Prozent gerade versammelt vor ihm.
Irgendwann hatte er uns dann soweit; wir haderten nicht mehr mit dem Schicksal, dummerweise bei etwas erwischt worden zu sein, was angeblich alle machten – wir haderten nun mit der Tatsache, alkoholisiert hinter einem Steuer gesessen zu haben. Und wir dankten Gott, daß niemand zu Schaden gekommen war dabei. »Bei fünfzig Prozent aller tödlichen Unfälle im Straßenverkehr ist Alkohol im Spiel«, so der W. immer und immer wieder.
Prozente, Promille, Zahlen generell: Die Trinkproblematik ist voll davon. Aus meinen Notizen: Bei 0,5 Promille Alkohol im Blut Verdopplung, bei 0,8 Promille Vervierfachung des Unfallrisikos. Bei 1,1 Promille absolute Fahruntüchtigkeit – dies eine Straftat, kann mit Gefängnis bestraft werden. Bei Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern allerdings absolute Fahruntüchtigkeit auch schon ab 0,3 Promille – und dazu braucht es noch nicht einmal zwingend einen Unfall. Schlangenlinien fahren reicht schon. Kommt es aber zu einem Unfall, trägt automatisch der die Schuld, der mehr als 0,3 Promille hat,
selbst wenn er arglos an der Ampel stand und ihm einer hinten auffährt.
Bitter. Sei aber nun einmal so.
Und warum dann nicht gleich o,o Promille – wie früher im Ostblock?
Antwort: weil das nur in den dortigen Diktaturen durchzusetzen war. Weil im Westen jeder Brauereibesitzer gegen so ein Gesetz vor Gericht ziehen könnte, denn unter 0,3 Promille ist offenbar nicht nachweisbar, daß der Alkohol Auswirkungen auf das Fahrverhalten hat.
Und woher soll man wissen, ab wann man nun exakt 0,3 Promille Alkohol im Blut hat?
Antwort: Rechnen, Rechnen, Rechnen!
Wer für die MPU lernt, fühlt sich grundsätzlich wie vor einem Mathematikabitur. Körpergewicht und Geschlecht und Zeit – alles spielt eine Rolle. Wir lernten Abbauraten und komplexe Formeln auswendig. Wir rechneten Getränke in Promille um und Promille in Partyabende. Schon bald gingen uns Wörter wie »Resorptionsdefizit« ganz selbstverständlich über die Lippen. (Dabei geht es um den Alkohol, der den Blutkreislauf nicht oder nicht meßbar erreicht, wo auch immer er dabei abbleiben mag; in Abhängigkeit von der Getränkesorte können das zehn bis dreißig Prozent sein.)
Wir lernten, daß fettes Essen die Alkoholaufnahme ins Blut zwar tatsächlich verzögert – den Abbau allerdings auch. Und wir erschauderten vor der Erkenntnis, wie
unfaßbar viele Leute tagsüber – morgens, mittags und noch nachmittags im
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