Über das Trinken
beides in vielen Kulturkreisen tatsächlich als Synonym verstanden wurde. In Bayern, wie man weiß, bis heute.
Man wird sich das Bier der Assyrer, Sumerer und Ägypter nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut vorstellen dürfen; man wird es sich überhaupt nicht wie das vorstellen dürfen, was wir unter Bier zu verstehen gelernt haben (– und das ist, wenn man weit gereist ist, schon eine ganze Menge). Sondern es wird sich um einen flüssigen Nahrungsbrei gehandelt haben, mit dem sich sowohl Durst als auch Hunger stillen ließen – und mit einem Alkoholanteil, der nicht nur leicht beflügelnd wirkte, sondern die nutritiven Bestandteile überhaupt erst haltbar machte. Ein wahrer Wundertrank mit anderen Worten. Ein Allroundnahrungsmittel. Es ist kein Wunder, daß seine Herstellung in den mesopotamischen Hochkulturen manufakturmäßig betrieben wurde.
Die Sumerer sollen mehr als ein Drittel ihrer Getreideproduktion dafür verwendet haben und benutzten es auch als Zahlungsmittel und Lohnbestandteil: Tempelarbeiter erhielten täglich einen Liter, Oberpriester fünf.
Alkohol als Konservierungsmittel, Bier als gesündere Alternative zum leicht verderblichen Wasser, Spirituosen als Arznei – das war bis ins 19. Jahrhundert hinein so, und das ist sozusagen der unschuldige Strang seiner Geschichte.
Interessanter ist es aber natürlich als Rauschmittel. Mir jedenfalls gefällt der Gedanke, daß es der beflügelnde Alkoholrausch gewesen sein soll, der den Mensch dazu brachte, seßhaft zu werden und die Freiheit einzutauschen gegen die Mühsal von Ackerbau, Hausbau, Nachbarschaft, Sklaverei, Strafgesetzgebung, Sonntagsspaziergängen und all dem. Dieser Gedanke ist vor allem deswegen so reizend, weil er so etwas Tragisches und Zirkelschlüssiges hat: Trinken, um die Härten eines seßhaften Daseins zu ertragen, welches man auf sich genommen hat, um trinken zu können …
Es ist die Geburt des entschlossenen Einerseits-Andererseits; es ist der Dialekt der Dialektik, der da zu einem zu sprechen beginnt. Feldarbeit ist Fronarbeit, Jagen ein Privileg. Das gilt im Kern bis heute, und das ist so, seit die Pforten des Paradieses geschlossen wurden. Die Geschichte von Kain und Abel aus dem Alten Testament sagt dazu alles. Der Feldarbeiter Kain hat nicht nur die
mühsamere Arbeit als sein Bruder Abel, der mit den Tieren durch die Gegend zieht. Es ist dann auch noch so, daß seine mühevollere Arbeit weniger wertgeschätzt wird. Gott Jahwe, offensichtlich auch kein Vegetarier, bevorzugt Fleisch als Opfergabe.
Der Wutanfall des Kain ist insofern schon menschlich nachvollziehbar, entwicklungsgeschichtlich ist er von sogar größter Bedeutung. Die Auseinandersetzungen zwischen den Menschen, die in den biblischen Erzählungen ihren Ausdruck fanden, müssen brutal und existentiell gewesen sein: der Kampf zwischen Ackerbau und Viehzucht, Nomadenleben und Seßhaftigkeit. Beides verträgt sich naturgemäß schlecht. Reichholf gibt zu bedenken, daß Menschengruppen, die sich vom Jagen und Sammeln ernähren, pro Kopf hundertmal mehr Fläche in Anspruch nehmen als Ackerbauern, um satt zu werden. Es ist das Wachstum der Menschheit, um das es hier geht. Die Möglichkeit, überhaupt nebeneinander zu leben, ohne sich dauernd in die Quere zu kommen.
Was also, wenn die zivilisierende Kraft, die den Arbeitsalltag in die Welt gebracht hat, gewissermaßen nichts anderes gewesen wäre als die Aussicht auf einen arbeitsfreien Sonntag – und ein schönes Glas von irgend etwas Gutem?
VIII. Wer oder was war Dionysos – und was ist aus ihm nur geworden?
Die Bibel als Trinkfibel · Die Antike als Weinratgeber · Ärzte und Alkohol · Das Wohl und das Wehe · Die Entdeckung des Alkoholismus · Und die Ahnung der Griechen · Das doppelte Verwandlungswunder · Trinken als Gottesdienst · Nippen am Blute Christi
Das Großartige am Altertum ist, daß nahezu jede Erfahrung, die heute ein Mensch macht und aufgeregt als Neuigkeit in sein Blog schreibt, damals schon behandelt wurde, und zwar im Zweifel besser.
Das betrifft neben allem Zwischenmenschlichen vor allem die Vor- und Nachteile des Trinkens. Für die Erkenntnis, daß es des Guten auch schnell einmal zuviel sein kann und daß es dann unangenehm, unappetitlich oder sogar richtig übel wird, dazu braucht im Grunde kein Mensch Aufklärungskampagnen der Bundesregierung. Eine Bibel reicht schon. Die Heilige Schrift und die griechisch-römische Antike sind teilweise regelrechte
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