Über das Trinken
Trinkfibeln. Sie borgen sich ständig ihre Metaphern beim Wein und geben umgekehrt nützliche Hinweise zum Umgang mit Betrunkenen. Daß es immer der Wein ist, der als Beispiel dient, liegt daran, daß in Palästina wie in Griechenland eben Weinbau betrieben
wurde. Es gibt, ganz einfach aus klimatischen und geographischen Gründen, Weinregionen und Bierregionen. Wenn in den Gegenden, aus denen die Schriften stammen, auf denen unsere Kultur beruht, damals Bier das wichtigere Getränk gewesen wäre, sähe Roger Scruton heute alt aus.
Allein die Episode mit dem trunkenen Noah spricht Bände: Noahs Sohn Ham sieht, daß der Vater sich beim Ausschlafen des Rausches versehentlich entblößt, und er hat nichts Besseres zu tun, als das sofort aufgeregt herumzuerzählen – was den Alten in seinem Kater am nächsten Tag begreiflicherweise dazu bringt, den Sohn zu verfluchen. Nicht der Betrunkene wird getadelt, sondern der, der sich über ihn lustig macht.
Ansonsten wird der Wein immer wieder als anregend und bekömmlich gelobt, gleichzeitig wird vor dem Übermaß gewarnt und vor dem Fehlverhalten, das daraus resultiert: das schlechte Benehmen und die Pflichtvergessenheit.
Ähnlich sehen es die Griechen. Platon sagt deswegen: Gar nichts trinken sollten Sklaven, Archonten im Jahr ihrer Amtsführung, Steuerbeamte, Richter (jedenfalls im Gericht) sowie Mann und Frau, wenn sie beabsichtigen, Kinder zu zeugen. Aristoteles fügt hinzu, nicht gut sei Wein auch für Säuglinge. Und Homer mahnt, den Wein jedenfalls vorsichtig zu genießen, weil seine belebende Wirkung sonst in ihr Gegenteil umschlagen könne, und
läßt zum Beweis, in der Odyssee, einen volltrunkenen Soldaten vom Dach der Kirke stürzen.
Aber so ganz zuverlässig sind die antiken Autoren mit dem Maßhalten wiederum nicht: Dauernd werden auch massive Besäufnisse besungen. Staunend beschreiben die Alten die Folgeerscheinungen, die Sprachstörungen, das Torkeln und die Komplettaussetzer. Und wenn ein Philosoph wie Aristoteles über den Kater am Morgen danach schreibt, daß ihm die Schmerzen wie »eine Art Kochung und Entzündung in ihrem Endstadium« vorkämen, dann darf man allein aus diesen Symptomen schließen, daß das gelehrte Symposion am Abend davor auf nichts anderes hinausgelaufen sein kann als das, was die Mediziner heute einen Alkoholexzeß nennen.
Schön ist es zu sehen, daß die Ambivalenz im Umgang mit dem Alkohol praktisch genauso alt ist wie dieser selbst. Schon immer wird gleichzeitig vor den bösen Folgen des Zuviel gewarnt und gleichzeitig, oft sogar von den gleichen Leuten, das Loblied auf das nächste Glas und den Vollrausch gesungen. Dieses Geeiere hat selbst etwas Alkoholisiertes an sich. Der Alkoholdiskurs, könnte man sagen, torkelt von Anfang an ganz gehörig.
Gerade in medizinischer Hinsicht konnte es manchmal gar nicht genug sein: »Gebt starkes Getränk denen, die am Umkommen sind, und Wein den betrübten Seelen, daß sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken«, heißt es in den Sprüchen
Salomons. Cäsar ließ seine Soldaten täglich einen Liter Wein trinken, gegen ansteckende Krankheiten. Sogar der persische Arzt Avicenna empfahl noch um die Jahrtausendwende täglichen Weingenuß und ein bis zwei Vollräusche im Monat.
Das würde heute wahrscheinlich kein Arzt mehr so sagen. Jedenfalls nicht öffentlich. Unter der Hand (und erst recht beim Bier) erzählen viele von ihnen allerdings auch heute noch ganz Erstaunliches darüber, was aus Sicht der Medizin alles für den Alkohol spricht. Aber jeder, der sich nicht von einer empörungswütigen, zu jeder Differenzierung zutiefst unfähigen Öffentlichkeit als verantwortungsloser Verharmloser hingestellt sehen will, wird sich hüten, die heilsamen Wirkungen mit den krebserregenden zu verrechnen oder die sozialen Vorzüge mit dem Elend der Alkoholiker.
Außer es rutscht ihnen aus Professionalität heraus wie in dieser Ratgebersendung im Radio, in der es um Depressionen ging. Ein Arzt empfahl da Bewegung. Der Moderator sagte, viele Betroffene griffen stattdessen zur Flasche. Darauf der Arzt, ganz ernst: Das sei natürlich auch ein sehr probates Mittel gegen Depressionen, da würde er nicht abraten. Man müsse nur aufpassen – wegen der Suchtgefahr.
An dieser Stelle kurz ein Wort zu den sogenannten medizinischen Studien über Alkohol: Es steht praktisch jede Woche eine neue in der Zeitung. Mal ist ein mäßiges
Trinken gut für die Haut, das Abnehmen,
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