Über das Trinken
lustige Idee gehabt zu haben.
Das klingt makaber, trifft aber vermutlich den Sachverhalt.
Damit zurück zu den dionysischen Trinkfesten der Antike, welche der Erfahrung, daß der Rausch von außen oft weniger schön aussieht als von innen, gewissermaßen damals schon den Rang eines klassischen Bildungsgutes verliehen haben: Berühmt sind die Beschreibungen der »rasenden Weiber«, der moralischen Enthemmung und des grausamen Wütens, die allerdings jedem vertraut vorkommen werden, der schon einmal nüchtern in ein Oktoberfestzelt geraten ist.
Das Laute, das Schreckliche, das Zerstörerische, das der Alkohol mit sich bringt, gehörte genauso zu Dionysos wie die fröhlichen und kultivierenden Aspekte, und wenn man liest, wie grausam und eifersüchtig er diejenigen in seinen Weinranken fesselt, foltert und zerfetzt, die sich ihm zu entziehen suchten: Dann wird der Name Dionysos zu einer mythologischen Vorwegnahme eines Leidens, das später Suchtkrankheit heißen wird.
Es sieht so aus, als sei all das auch deswegen in die Riten dionysischer Festlichkeiten eingekerkert worden, um im Alltag Platz für anderes zu lassen. Der Rausch bekam dadurch etwas Feiertägliches, Gehobenes, Religiöses. Es ist aber vielleicht kein Wunder, daß eine Kirche wie die christliche all das Dunkle, Gefährliche und Gewalttätige daran ausgespart hat, als sie die dionysischen Mysterien in sich aufnahm. Aus dem Bacchanal wurde das Abendmahl. Als, wie es in der Bibel heißt, der Geist zwar willig war, das Fleisch aber schwach im Garten zu Gethsemane, als die Jünger, die eigentlich wachen sollten, gegen den Schlaf nicht mehr ankonnten: Da wird das schon nicht nur an der späten Uhrzeit gelegen haben; es dürfte zuvor einfach zuviel von dem gewesen sein, was seit diesem Abend das Blut Christi heißt. Das Zentralmysterium der Kirche ist im Kern immer noch ein alkoholisches Ereignis, wobei das Mysteriöseste daran für viele Gläubige der Umstand ist, daß ihnen meistens Weißwein hingehalten wird.
Manche sagen, das liege daran, daß Weißwein weniger wuchtig ist, gerade auf nüchternen Magen am Sonntagmorgen; aber besonders überzeugend ist das nicht. Alkoholikern und Abstinenzlern ist die Farbe egal; und die Dosis, welche alle anderen davon zu trinken bekommen, wurde auf dem langen Weg vom dionysischen zum christlichen Ritus so verringert, daß man neben dem lieben Gott schon auch sehr stark an die Homöopathie
glauben müßte, damit es etwas bringt. Vielleicht weil die sogenannte Transsubstantiation – die heilige Verwandlung von Wein in Blut – etwas ist, was man zwar wörtlich nehmen soll, dann aber nicht mehr gerade aussprechen kann. Protestanten, denen der Glaube an das Verwandlungswunder oft weniger gilt als der an die sittliche Kraft von Alkoholverboten, schrecken nicht einmal vor dem Einsatz von Traubensaft zurück. Vermutlich verhilft ihnen das ja zu einem ewigen Leben schon im Diesseits.
Erinnerungen an den antiken Brauch der Bacchanalien leben unter diesen Umständen aber allenfalls nach dem Gottesdienst auf – beim Frühschoppen. Wer Spiritualität im Wortsinn sucht und das Erlebnis echter Transzendenz, der geht heute lieber in die Kneipe als in die Kirche.
IX. Dürfen Politiker betrunken sein? Oder sollten sie sogar?
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Dionysos hat den Wein in die Welt gebracht, dann die Party – und schließlich auch den Ehekrach. Es ist eine der ersten großen Eifersuchtsszenen der Weltliteratur. Sie trägt den Titel »Hera macht ihrem Gemahl Zeus wegen seines Bastards Dionysos eifersüchtige Vorwürfe« und stammt aus der Feder des römischen Satirikers Lukian.
Hera sagt: »Ich würde mich schämen, wenn ich einen solchen Sohn hätte, so weibisch und so wollüstig und der Trunkenheit so ergeben, daß er gar nicht mehr nüchtern wird, und das Haar mit einem weibermäßigen Kopfschmuck hochgebunden, unter den rasenden Dirnen, mit denen er lebt …«
Zeus entgegnet: »Trotzdem hat dieser Weichling, der so weibisch sein soll wie keins seiner Weiber, Lydien erobert, die Anwohner des Tmolos bezwungen und die
Thraker in seine Gewalt gebracht; ja, er ist mit diesem nämlichen Weiberheer in Indien eingedrungen, hat sich ihrer Elefanten
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