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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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Anfang.

VII. Beruht die menschliche Zivilisation auf  – Drinks?

    Menschwerdung durch Biergenuß · Gilgamesch und die Evolutionsbiologie ⋅ Warum Ackerbau? · Brot oder Bier? · Beides das gleiche? · Die Entdeckung des Rauschs · Transzendenz und Hunger · Die Geschichte von Kain und Abel · Und was vermutlich dahintersteckt
    Heute wird oft gesagt, daß übermäßiges Biertrinken den Menschen zum Tier macht. In den Mythen der frühen Hochkulturen war das andersherum. Da wird Enkidu durch den Genuß von sieben Krügen Bier erst vom ziellos herumstromernden Tierwesen zum Menschen: Er trank sieben Krüge Bier; da wurde sein Gemüt frei, er sang, sein Herz jubelte, sein Antlitz erstrahlte; er rasierte sich das Fell vom Leib, rieb sich mit Öl ein  – und ward ein Mensch.
    Soweit das assyrische Gilgamesch-Epos aus der Zeit um 3000 v. Chr.
    Rund fünf Jahrtausende später veröffentlichte der deutsche Evolutionsbiologe Josef Reichholf das Buch »Warum die Menschen seßhaft wurden«  – und sagte ungefähr dasselbe, nur wissenschaftlicher.
    Reichholf behauptete, den wahren Grund zu kennen, der die Menschen damals bewogen hat, ihr ungebundenes Dasein als Jäger und Sammler aufzugeben und sich
dauerhaft niederzulassen. Dieser Grund war demnach das Trinken.
    Bisher hieß es immer, der Grund sei das Essen gewesen. Bisher hieß es, die nahrungsmitteltechnische Neuerung des Ackerbaus habe die Menschen zum Bleiben bewogen. Reichholf stellt es nun so dar, als hätte vielmehr der Rausch die Umherstreifenden zum Halten gebracht. Seinem Szenario zufolge sind  – sehr, sehr kurz zusammengefaßt  – die Menschen durch einen Zufall auf den Alkohol gestoßen, auf vergorene Früchte und Körner, und fanden das Erlebnis wiederholenswert. Sei es, weil sie ein geheimnisvolles göttliches Wirken darin erkannten, sei es, weil sie einfach auf den Geschmack gekommen waren.
    Wir waren leider alle nicht dabei, aber mir persönlich erscheint das plausibel. Ich glaube, wen der Hunger treibt, der zieht eher weiter, dem Wild hinterher, als an beutearmer Stelle mit Geduld und Zuversicht darauf zu warten, daß ein paar Jahre oder Jahrzehnte später diese neuartige und anstrengende Sache, der »Ackerbau«, soweit sein würde, daß es für ein paar Brötchen reicht. Ich glaube nicht, daß es damals schon Vegetarier gab, die freiwillig das Fleisch ziehen ließen, um auf das Wachsen der Beilagen zu warten. Ich weiß aber: Ein sehr starker Grund, irgendwo zu bleiben, ist die Aussicht auf den nächsten Drink. Der Mensch benimmt sich heute noch so. Und wenn der Mensch sich seltsam benimmt, sind meistens die sogenannten Urinstinke im Spiel.

    Reichholfs These ist natürlich mehr als umstritten. Sie muß auch umstritten sein, schon weil sie der Geschichte der menschlichen Zivilisation einen so gänzlich unpuritanischen, scheinbar frivolen Kern verleiht: Nicht die Sorge um die Ernährung der Familie hat den Menschen dazu gebracht, vom wilden Jäger zum biederen Ackerbauern zu werden, sondern etwas noch Wilderes und Erregenderes als die Jagd und die Ungebundenheit: der Rausch.
    Was nämlich gern einmal vergessen wird, wenn die Geschichte der Menschheit dahingehend interpretiert wird, daß an ihrem Ende der Lebensmitteldiscounter steht, das ist das Bedürfnis nach Transzendenz. Nach dem Aussichherausgehen. Dem Ichbindannmalwegsein. Und ein schon wegen seiner Dialektik besonders triftiger Weg, aus sich herauszugehen und anschließend für eine Weile weg zu sein, war immer schon der, gewisse Dinge zu sich zu nehmen, sich unter ihren Einfluß zu stellen.
    Ein einziges Raus und Rein zwischen Substanzen, Körper und Geist. Ein Chaos. Die Dinge der Welt waren noch nicht geschieden und nach dem deutschen Betäubungsmittelgesetz klassifiziert. Selbst das Kauen mußte nicht nur dem Zerkleinern der Nahrung dienen. Hefepilze gibt es praktisch überall, zur Not hilft aber auch der Speichel der Gärung auf die Sprünge. Das wissen die Indianer am Amazonas, die eine Schale mit Mais herumgehen
lassen, in die jeder hineinspuckt, damit Bier daraus entstehe. Das scheinen aber auch Kinder schon zu ahnen, wenn sie nicht aufhören wollen, auf ihrem Brotkanten zu ruminieren. Irgendwann wird es süß. Und wenn sie dann noch sehr, sehr lange weiterkauen würden  – dann hätten sie theoretisch irgendwann einen sitzen.
     
    Im Anfang war das Wort, und ob dieses Wort nun Brot oder Bier lautete: Diese Frage erübrigt sich beinahe von selbst, wenn man bedenkt, daß das

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