Über das Trinken
bemächtigt, das Land eingenommen und den König, der ihm auf kurze Frist zu widerstehen sich erkühnte, gefangen davongeführt; und das alles hat er vollbracht singend und tanzend, mit keinen anderen Waffen als mit efeubekränzten Thyrsosstäben in der Hand, trunken, wie du sagst, und wie im Rausche … Siehst du denn nicht, daß auch dies männliche Taten sind, deren sich sein Vater nicht zu schämen hätte … zumal wenn man bedenkt, was er nüchtern sein müßte, da er betrunken schon so große Dinge tut.«
Im weiteren Verlauf des Dialogs geht es dann wieder darum, daß beim Trinken eben Maßhalten lernen müsse, wer ihm nicht zum Opfer fallen wolle.
Soweit Lukian in seinen »Göttergesprächen«.
Und soviel zum Weingott als Feldherr.
Daß Trinkfestigkeit als männlich gilt, obwohl sie gerade Männer über kurz oder lang in eher weibliche Formen überführt, das ist ein Paradox, mit dem sich heute vor allem Biertrinker auseinandersetzen müssen. Auch diese Erfahrung ist in der Figur des Dionysos bereits buchstäblich vorweggenommen. In der Bildenden Kunst wurde er meistens als weichfleischiger Jüngling gezeigt, oft mit sonderbar zerfließenden Formen, um zu suggerieren, daß auch der Betrachter beim Anblick des Gottes automatisch einen sitzen hat. Seine Entourage waren
rasende Mänaden, lüsterne Nymphen und geil auf ihren Bocksbeinen hinterdreinstolpernde Satyrn. Der Feldzug, der ihn und die Seinen als lärmende, androgyne Gay Parade bis nach Indien gebracht hat, erzählt die Legende eines geradezu spielerisch auftretenden Partylöwen als Feldherrn, der sich auf das ekstatische Einverständnis der Eroberten verlassen kann. Denn er macht seine Gegner schwach in den Knien, er straft sie mit Tiefschlaf und Gedächtnisverlust; aber den Mühseligen und Beladenen versüßt er den trüben Alltag.
Es sieht allerdings ganz so aus, als sei dieser Mythos zur Überhöhung eines ganz irdischen Feldzugs entstanden. Der historische Hintergrund waren wohl die Eroberungen Alexanders des Großen. Aber Alexander muß auch tatsächlich eine sehr ausgeprägte Affinität zum Geschäftsbereich des Dionysos gehabt haben. Man weiß von Trink-Wettkämpfen, die er veranstalten ließ, bei denen die Verlierer nicht überlebten. Die Gewinner letztlich auch nicht. Er selbst trank, heißt es, ebenfalls enorm viel, erschlug im Rausch wohl sogar seinen Lebensgefährten (behauptet jedenfalls Plinius in seiner »Historia Naturalis«) – und starb ebenfalls recht früh daran.
Aber in beidem war er schulbildend: als trinkender Politiker und als Politiker, der mit Dionysos, also dem Prinzip des Rauschs, Propaganda macht. Eine ganze Tradition von Politik als Glücksversprechen hat hier ihren Ursprung. Und spätestens die italienische Renaissance
mußte einer antiken Gottheit wie Dionysos auch in dieser Funktion wieder in den Sattel helfen, als Botschafter sozusagen, meistens nun natürlich unter seinem römischen Namen Bacchus.
Von Raffael gibt es zum Beispiel einen Entwurf für einen »Triumph des Bacchus«, der dann von Benvenutu Tibi, genannt Garofalo, umgesetzt und ausgeschmückt wurde: Das Bild zeigt die Heimkehr aus Indien. Die Gesellschaft zieht auf exotischen Tieren am Betrachter vorbei. In der Bildmitte fällt gerade Silen, der Ziehvater des Bacchus, von seinem Löwen – ganz eindeutig, weil er zu betrunken ist. Das macht die Laune der anderen nur noch besser, bringt den Zug zum Stocken und löst die Siegesparade in eine einzige Orgie auf – eine frühe Formulierung von »Make love, not war!«
Bestellt worden war dieses Bild vom Herzog von Ferrara, und zwar exakt zu diesem Zweck: zum Lob des Pazifismus. Dem Herzog blieb allerdings auch wenig anderes übrig. Sein kleines Herrschaftsgebiet lag zwischen großen und aggressiven Machtblöcken, die sich dauernd mit Krieg bedrohten. Schon aus purem Überlebenstrieb propagierten sie in Ferrara daher die Freuden des friedlichen Beisammenseins. Sie setzten, da territorial bei so mächtigen Nachbarn nichts zu holen war, auf Prachtentfaltung im Inneren sowie auf die Kraft der Freundschaft und der Bündnisse. Viel geholfen hat es leider nicht. Zweihundert Jahre später war nicht einmal mehr genug
Geld da, um die letzten Reste der Gemäldesammlung halten zu können. Garofalos riesiger »Triumph des Bacchus« mußte verkauft werden.
Man darf allerdings sagen, er kam genau in die richtigen Hände.
Er kam wiederum in ein Land, das, eingekeilt zwischen zwei Mächten, die sich mit Krieg
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