Über das Trinken
Das bringen das Leben und der Beruf so mit sich. Irgendwer drückt einem immer ein Glas in die Hand.
Und in der Regel ist der Weißwein eben schlecht. Meistens zu sauer. Immer zu warm. Und mit Wasser geizen sie gern, vielleicht aus Angst, daß sonst keine Stimmung aufkommt.
Deshalb sind Bierflaschen so wichtig. Da hat man was in der Hand und ansonsten seine Ruhe. Es kommt kein Kellner und schenkt dauernd nach. Wer will, kann einen
ganzen Abend damit bestreiten. Und sie liegt auch leer noch elegant in der Hand. Die Bierflasche ist sozusagen die Clutchbag des Herrn. Und daß so ein Bier nicht unbedingt dem Trinken dient, sondern unter Umständen auch der Abwehr von anderen Getränken, von Trinkzwängen, mit denen zu tun bekommt, wer in dieser Gesellschaft bestehen will: Das ist auch so etwas, um das es hier geht.
Denn wer trinkt, hat in unserer Gesellschaft ein Problem. Wer nicht trinkt, aber auch.
Wer trinkt, gilt als sozialer Störfall. Wer nicht trinkt, aber erst recht.
Trinken ist damit die heikelste Tätigkeit, der man nachgehen kann auf dieser Welt. Das Verhältnis, das die Menschen dazu haben, kann man ambivalent nennen – oder einfach auch perfide: Man wird immer exakt solange für seine Trinkfestigkeit gelobt, bis es plötzlich heißt, man sei ein Trinker, und dann folgt die Ächtung, dann wird böse getuschelt.
Wer allerdings sagt, er trinke nichts, über den wird sofort getuschelt.
Wer nichts trinkt, macht sich verdächtig. Eine Frau, die nichts trinkt? Bestimmt »in anderen Umständen«. Ein Mann, der nichts nimmt? Sicher religiöse Gründe. Oder noch schlimmer. (Trockener Alkoholiker!)
Es ist in unserer Gesellschaft praktisch nicht vorgesehen,
einen Drink abzulehnen. Außer man sagt: »Ich bin ein schwangerer Moslem auf Entzug.«
Aber wer sagt so etwas schon?
Nun ist es nicht so, daß es zu dem Thema bisher noch nichts zu lesen gäbe. Es gibt eine Menge Bücher über das Trinken, das Spektrum reicht von der vulgären Sauf-Apologetik über die Cocktailmixbücher bis zu den Ratgebern für Alkoholkranke. Dieses Buch hier beansprucht gewissermaßen einen Platz in der Mitte. Für Bücher über das Trinken gilt im Prinzip der gleiche Grundsatz wie bei ihrem Gegenstand: »Einer geht noch.« Wer diesen Grundsatz nämlich aufgibt, schafft automatisch Raum für sein Gegenteil – für die Frage: Geht das überhaupt noch? Und wenn ja, für wie lange?
Berauschende Getränke gibt es, seit es menschliche Zivilisationen gibt. Das heißt aber nicht, daß das auch für alle Ewigkeit so bleiben muß. Noch mag es unvorstellbar klingen, daß das Trinken eines Tages aus unserem Alltag verschwinden könnte. Aber das galt auch einmal für den Hut oder das Pferd: noch vor weniger als einem Jahrhundert im Leben nicht wegdenkbar – heute im Alltag der meisten Menschen nichts als eine vage Erinnerung, ein Gegenstand der Nostalgie, bestenfalls ein teures Hobby. Wie die Zigarre und das Pfeifchen. Und bald die Zigarette.
Schon heute zeichnet sich ab, daß es auf dem Gebiet
des Trinkens zu einer ähnlich restriktiven Gesundheitspolitik kommen könnte wie zuletzt beim Rauchen. Ich möchte niemanden in Unruhe versetzen, aber es gibt Tendenzen, die heute noch belächelt werden und morgen vielleicht schon mehrheitsfähig sein können. Könnte also sein, daß wir es hier mit einem Kulturgut zu tun haben, das schon bald auf dem Weg ins Museum ist. Könnte sein, daß da eine ganze Welt zu verschwinden droht. Es muß nicht, aber es könnte. Etliches spricht dafür. Es lohnt sich auf jeden Fall, noch einmal genau hinzuschauen, was da alles auf dem Spiel steht, wenn dem Rauschtrinken der Kampf angesagt wird. Und es lohnt sich womöglich gerade für diejenigen, die mit ihrem guten Glas Rotwein in der Hand dabei noch assistieren, weil sie sich für kultivierter halten als die fröhlich lärmenden Oktoberfestzecher: Gerade für solche »Ich trinke nicht, ich genieße«-Trinker könnte es sich womöglich am meisten lohnen, den Ast einmal zur Gänze zu betrachten, auf dem sie sitzen, während sie sägen.
Was kann so ein Buch dabei leisten?
Es dient der Begründung. Sie trinken. Ich sage Ihnen, warum das vernünftig ist – und eine Form der Teilhabe an gewaltigen historischen Prozessen.
Denn wer trinkt, trinkt nie nur so für sich, er stellt sich in bestimmte Traditionen. Jahrtausendelang war das
Trinken ein Segen, es war lebensrettend, es war Medizin und Lebensmittel. Alkoholisches war noch das Gesündeste,
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