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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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trinken wollen, trotzdem immer im Namen mit sich führen müssen. Es verfolgt sie wie ein Fluch, daß sie zuviel davon hatten, wovon sie jetzt nichts mehr haben dürfen, wenn ihnen ihr Leben lieb ist. Die Normalität schmeckt alkoholisch; da beißt auch die Suchtbeauftragte der Bundesregierung keinen Faden ab.
    Sogar in streng islamischen Ländern kommt die Alkoholfreiheit nicht ohne die Voraussetzung des Trinkens aus. Muslime sind in gewisser Weise tatsächlich Alkoholiker auf Entzug  – nicht im einzelnen, aber doch gesamtkulturell und historisch betrachtet: Alkohol ist ein Wort aus dem Arabischen. Die Technik der Destillation haben
die Europäer von den Arabern gelernt. Und bis zum Eingreifen des Propheten Mohammed war die Region mittelmeerweit für ihren beträchtlichen Weinkonsum berühmt. Exakt deshalb hat er ihn den Seinen ja überhaupt erst verboten  – weil im Suff eine wichtige Schlacht verloren worden war.
    Das Abendland hat traditionell eine entgegengesetzte Militärdoktrin verfolgt. Es hat sich stets Mut und Verwegenheit erst angetrunken. Und es ist, das darf man in der Gesamtbilanz ja vielleicht mal so konstatieren, damit im Vergleich nicht so schlecht gefahren. Die sogenannten westlichen Werte, Freiheit, Wohlstand, Gleichberechtigung und so weiter, schwimmen auf einem Ozean aus Alkohol.
    Der größere Teil der Weltbevölkerung lebt abstinent, heißt es immer in den Berichten der Suchtforscher. Der größere Teil der Weltbevölkerung lebt allerdings auch in bestürzender Armut. Beides zu ändern wäre ein Gebot der Menschlichkeit. Wenn Länder wie Indien, China oder Thailand zu den westlichen Industriestaaten aufschließen, dann drückt sich das zahlenmäßig nicht nur im Bruttoinlandsprodukt aus, sondern automatisch auch im Alkoholkonsum. Billigfusel hin, Elendsalkoholismus her: Trinken gilt insgesamt als Wohlstandsindikator. In diesem Sinne wurden auch die Leberschäden der DDR-Bevölkerung noch bis in die Sechzigerjahre hinein durchaus als Zeichen des Fortschritts interpretiert. (So
entnehme ich das jedenfalls dem Buch »Von Herrengedeck und Kumpeltod  – Die Drogengeschichte der DDR« von Gundula Barsch.) Erst danach begann auch dort das Trinken allmählich zum Problem zu werden, zum Symbol des Niedergangs.
    Aber so ist das immer und grundsätzlich. Es gibt diesen Punkt, an dem die Dinge umschlagen. Bis zu diesem Punkt gedeiht alles prächtig, danach wird es unangenehm. Das gilt für jeden einzelnen, für jede Party, für ganze Volkswirtschaften.
     
    Unser Verhältnis zum Trinken, das praktische wie das theoretische, ist launenhaft und ambivalent. Man kann es so oder so sehen  – und wie man es sieht, hängt in der Regel davon ab, ob man selber gerade zu den Trinkenden gehört oder zu den Nüchternen. Zwischen beiden gibt es einen natürlichen Konflikt: Beide gehen sich enorm auf die Nerven. Jeder kennt das, der schon einmal zu spät auf eine Party kam und den Eindruck hatte, daß sich alle anderen schon uneinholbar vorausgetrunken haben. Es gibt auf dieser Welt vermutlich nichts Anstrengenderes und nichts Abstoßenderes, nichts Bedrückenderes und nichts Beängstigenderes als Betrunkene.
    Außer man ist selbst einer von ihnen  – dann gilt das gleiche für die Nüchternen.
    Es gibt für diesen Konflikt im Prinzip natürlich eine denkbar simple Lösung: trinken.

    Es ist immer einfacher für einen Nüchternen, betrunken zu werden, als umgekehrt. Es geht jedenfalls schneller.
     
    Einmal sah ich in einer Talkshow einen spektakulären Frontalaufeinanderprall dieser Fraktionen. Zuerst sah man den sogenannten Volksschauspieler Wolfgang Völz. Er hockte da wie eine große, gemütliche Kröte und machte die Sendung über eine komplette Flasche Rotwein nieder, um zu beweisen, daß ihm das praktisch gar nichts anhaben konnte, weil bei einem Typ wie ihm das Trinken sozusagen immer schon zum Sein gehörte.
    Dann war da ein Brauereibesitzer aus Augsburg, ein etwas lächerliches Kerlchen, das eine Trachtenjacke trug und vergnügt die Weisheiten der Bierbrauerlobby in die Runde schmunzelte: Bier sei gesund, voller Vitamine, alkoholarm, geselligkeitsfördernd, ein Kulturgut oder, wie der Bayer sage, ein Grundnahrungsmittel…
    Zwischen den beiden aber thronte der Modeschöpfer Harald Glööckler. Falls sich jemand noch nie bis in die Homeshopping-Kanäle des Fernsehens verirrt hat: Stellen Sie sich die Societyladies Ute und Chiara Ohoven als Mann mit Vollbart vor. Viele machen sich über

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