Über das Trinken
die Film- und die Weltgeschichte: Auch der Name der Kennedys wäre später womöglich weniger bedeutend geworden, wenn es für den Urvater der Dynastie, für Joseph Patrick Kennedy, damals mit dem Schnapshandel nicht so gut gelaufen wäre. Der Maler Joe Coleman, der mit seinem Werk die Bewirtschaftung der großen epischen Mythen Amerikas betreibt, hat mir bei einem Atelierbesuch einmal illegal hergestellten Prohibitionswhiskey aus den Südstaaten angeboten. Passenderweise in einer mit lauter Leichenteilen bedruckten Henkeltasse aus dem Marketing-Fundus des Films »The Black Dahlia«. Es war mir bis zum Schluß nicht ganz klar geworden, ob das Whiskey »in der Art« des illegalen Stoffs vom Mississippi war – oder ob das Zeug tatsächlich noch aus den Zwanzigerjahren stammte. Der Geschmack hätte dafür gesprochen. (Allerdings genauso gut auch für ein Rohrreinigungsmittel.)
Auch die illegale Flüsterkneipe, das »Speakeasy«, in dem die Getränke nicht ganz das sind, wonach sie aussehen, ist mehr als nur ein gastlicher Gemeinplatz in Krimis und Filmen: Der Zwang zum Flüstern, zum Verheimlichen des Trinkens hatte außerdem eine schöne, disziplinierende Wirkung auf die Trinker: Eine ganze Schule
von Gentleman-Trinkern nach Art des Detektivs Nick Charles ist so entstanden, die ihre zum Teil beträchtlichen Pegelstände als schwankende Normalität tarnten. Wo immer heute vor allem gelärmt wird beim Trinken, rückt daher eine hübsche, kleine Prohibition an den Horizont der genußsteigernden Stimulanzien.
Dann ist da die schöne Sitte der privaten Cocktailpartys mit ihren frühen Anfangszeiten, den hübschen Kleidchen und natürlich den netten, bunten Drinks … Die englische Oberschicht sollte das früh übernehmen, um damit die langweilige Lücke zwischen dem Tee und dem Dinner zu überbrücken.
Aber die Herkunft des Cocktails schmeckt man trotzdem immer durch. Es ist bei genauer Betrachtung auch gar nicht verwunderlich, daß das amerikanische Nationalgetränk, daß Amerikas Beitrag zur Welttrinkkultur ausgerechnet der Cocktail sein mußte. Spirituosen lassen sich nun einmal einfacher und schneller herstellen als Wein oder Bier, sie sind das natürliche Rauschgetränk von Leuten, die auf dem Treck nach Westen oder unter den Bedingungen einer Prohibition leben müssen. Aber nur Leute, die gleichzeitig ein puritanisches Problem mit dem Rausch haben, mit der Sünde und allem nicht ganz so Gesunden, nur solche Leute können auf die Idee kommen, harte Spirituosen in bunte Fruchtsäfte zu kippen, um sie dort zu verstecken. Das ist das erste Motiv. Das zweite ist: um sie dort erst richtig zur Entfaltung zu bringen.
Diese Mischung aus Unschuld und Verderben, aus Alkohol und Zucker, ist natürlich perfide und explosiv, reiht sich aber ein in andere kulturelle Errungenschaften dieser Art, etwa die Erfindung der Cheerleader.
Es ist fraglich, ob es diese Art von kulturellem Reichtum war, den die Väter der Prohibition im Sinn hatten, als sie ihr Gesetz erließen. Es ist nur sicher, daß einer wie F. Scott Fitzgerald in jeder Hinsicht auf ihr Konto geht. Es gibt keinen Schriftsteller, dessen Gesamtwerk so felsenfest auf einer einzigen Figur ruht – dem jugendlichen Amerikaner der Prohibitionszeit mit dem Cocktailglas in der Hand. »Auch Joel war der Ansicht, daß die Schriftsteller zu viel tranken – er selbst tat es auch, aber an diesem Nachmittag würde er sich bezwingen. Er wünschte sich Miles in Hörweite, wenn die Cocktails gereicht würden und er höflich, aber bestimmt ›Danke, nein‹ sagen würde«, heißt es in »Crazy Sunday«, einer von Fitzgeralds Erzählungen, und schon auf der nächsten Seite findet sich der Satz: »Nachdem Joel sich überzeugt hatte, daß Miles am anderen Ende des Raums stand, trank er seinen Cocktail.«
Es waren halt immer Selbstporträts; und, wer weiß, vielleicht hätte Fitzgerald ohne die Prohibition selbst weniger exzessiv getrunken und länger gelebt.
Für die Prohibition hatte es natürlich gute Gründe gegeben. Amerika hatte ein Alkoholproblem. Und zwar
praktisch von Anfang an. Das Land ist mit der Flasche in der Hand erobert worden, und der Bierdurst war es, der die Leute den Fuß darauf setzen ließ. Die Pilgerväter hatten 1620 ursprünglich viel weiter südlich vor Anker gehen wollen. Sie taten es dann aber schon oben in Cape Cod, weil ihnen die Vorräte zur Neige gingen: »our victuals being much spent, especially beere«. Wir hatten erwähnt, daß Bier in
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