Über das Trinken
der für diese Szene maßgeblichen Band »Minor Threat« in dem Lied »Out of Step«, und er schließt mit: »At least I can fucking think.«
Immerhin die Verwendung von Kraftausdrücken war also noch genehmigt. Das Mönchische dieser Haltung kam der Aggressivität der Musik zwar unzweifelhaft sehr zugute. Aber es wurde mit der Zeit auch zu einem Problem. Die Bewegung nahm, weil Nüchternheit nach Ersatzdrogen sucht, Zuflucht in der Esoterik. Teile wucherten von dort sogar in sonderbar rechtsradikale Gefilde hinein. Der klügere Teil machte weiterhin Musik, bei der dann, meiner Erfahrung nach, auch wieder getrunken werden durfte. Und wurde.
Heute liefern die Vereinigten Staaten verläßlich leidlichen Bourbon in verläßlich unansehnlichen Flaschen –
sowie Jugendliche in Trekkingsandalen, die ihr Glück kaum fassen können, daß sie in Berlin auf der Straße unter meinem Fenster zu jeder Tages- und Nachtzeit trinken können, soviel sie wollen, wovon sie, besonders in den Sommermonaten, mit großem Radau Gebrauch machen. Ich beschwere mich darüber nicht, sondern freue mich mit ihnen. Auch wenn ich natürlich spüre, daß Deutschland in den Augen dieser jungen Amerikaner für das Trinken in etwa das gleiche ist wie Thailand für Sex mit Minderjährigen.
Der letzte Beitrag der USA zur Trinkkultur sind die brown bags, die braunen Tüten, in denen die Flasche auf der Straße verschwinden muß. Europäer lachen natürlich darüber und empfinden das als unvorstellbare Gängelung.
Bis sie es in ein paar Jahren selbst so halten werden.
XII. Auswärts trinken: Wie berauscht man sich in der Fremde?
Wodka in Rußland · Alles mögliche in Dubai · Kein zweites Glas in Norwegen · Exotisches England · Frittierte Schokoriegel · Was tun betrunkene Japanerinnen? · Was tun mit betrunkenen Briten? · Die Endlosigkeit der spanischen Bar · Die Begegnung der Trinkkulturen
Der große Gegenspieler Amerikas, die andere Supermacht, Rußland, hatte selbstverständlich ebenfalls eine Prohibition. Und genauso selbstverständlich ist, daß die Konsequenzen noch viel weitreichender waren. Als in der Sowjetunion der Schnaps verboten wurde, gab es kurz darauf keine Sowjetunion mehr. Es ist nicht sicher, was die Russen Gorbatschow am Ende übler nahmen: daß er ihnen die Größe nahm oder den Wodka. Vermutlich hängt für die meisten beides zusammen. Die historische Verbundenheit der Russen mit dem Wodka ist weltbekannt und die Unmöglichkeit, daran etwas zu ändern, weithin akzeptiert.
Ich kann nur sagen, daß ich noch nirgendwo auf der Welt so viele Männer gesehen habe, die vom frühen Morgen an volltrunken auf der Straße liegen. Und überhaupt noch nie Frauen, die so dermaßen selbstverständlich
auf den Gerüsten von Baustellen die Arbeit der unbrauchbaren Männer verrichten. Es steht mir nicht zu, daraus Schlüsse über die sozioökonomischen Gründe der Frauenemanzipation im Sozialismus zu ziehen. Ich war nur froh, daß einer wie Waleri uns ins Wodkatrinken einwies: ein sibirischer Offizier, der sämtliche Standardtänze und Sprachen der Welt beherrschte sowie vermutlich auch die meisten Foltermethoden. So einer war Waleri. Wenn einer wie Waleri sagt, nur russischer Wodka ist Wodka, dann ist das bis ans Ende des Lebens auch so. Wodka aus Schweden, Deutschland, Westeuropa? Waleri: Parfüm!
Wodka aus Polen, die sollen ihn immerhin erfunden haben?
Waleri: Njet!
Nur »Russki Standard« aufwärts galt. Und nur Wodka aus Getreide, nicht aus Kartoffeln. Wir aßen Speck dazu, Gurken, Heringe. Wir tranken Glas auf Glas. Hundert Gramm auf hundert Gramm. Waleri sagte, daß das mit der Mengenangabe in Gramm irgendwie auf den gleichen Mann zurückgehe, der auch das Periodensystem der Elemente entwickelt hat.
Irgendwann wollte wer singen. Waleri sang natürlich schöner.
Ich wunderte mich wieder ganz entschieden darüber, daß etwas, was eigentlich nach nichts schmeckt, so gut schmecken kann. Dann machte ich mir Sorgen über die
Kopfschmerzen am nächsten Morgen. Aber Waleri sagte mit fester Stimme, das sei ganz und gar unnötig. Wenn man ausschließlich den guten, klaren, unparfümierten Wodka aus Rußland trinke und nichts anderes, wenn man Speck, saure Gurken und ein bißchen Hering dazu esse – und wenn man zum Abschluß, Spezialtrick, ein Glas schwarzen Tees trinke (ganz wichtig natürlich: ohne Zucker!): Dann, so Waleri, werde man schlafen wie ein Baby und am nächsten Morgen frisch und munter und ohne irgendwelche
Weitere Kostenlose Bücher