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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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Drinking« war eine Neuausgabe der wichtigsten Schriften des Kingsley Amis  – darunter auch die 1972 erschienene Alkoholfibel »On Drink«. Es sprach hier eine menschgewordene Bar, es sprach ein Kenner aus den holzvertäfelten Tiefen seines Genußgedächtnisses. Kingsley Amis schrieb darüber, wem man wann welchen Wein vorsetzt und wem einfach eine Büchse Bier. Er schrieb über die Wichtigkeit kalter Gläser mit der gleichen liebevollen Präzision wie über den respektvollen Umgang mit dem Kater danach. Ein herrliches Buch. Eine betörende Lektüre.
    Wenig später fiel mir eine Übersetzung von »On Drink« in die Hände. Aber auf Deutsch gefiel es mir nun überhaupt nicht mehr. Was mir im Original lustig und charmant vorgekommen war, wirkte jetzt  – und das war wirklich erschütternd  – irgendwie grell und albern. Es war, als ob einer, den man aus der Ferne unterhaltsam fand, auf einmal unangenehm dicht an einen herangerückt wäre und aus dem Mund nach Weißwein riecht.
Durch die Übersetzung, die sicher völlig korrekt war, kam es mir vor, als hätte jemand einen Schleier weggerissen. Es war: eine Ernüchterung. Es war, wie als Nüchterner einem Betrunkenen zuhören zu müssen. Man hat dann immer noch Verständnis, vielleicht sogar Sympathie, man lacht auch höflich, aber so richtig schön ist es nicht.
     
    Es kommt eben vor, daß man beim Lesen den Kater empfindet, der zu dem Rausch gehört, den der Schreibende hatte.
    Die letzten Werke von Joseph Roth zu lesen oder von Hans Fallada, das ist manchmal kaum auszuhalten, weil das, was man da liest, schon traurig genug ist, und weil man aber außerdem weiß, daß es mit dem Leben bezahlt wurde. Und es kann auf den Magen schlagen, wenn erwachsene Männer, Intellektuelle zumal, mit ihren Promilleabenteuern prahlen wie halbwüchsige Jungs auf dem Schulhof. Es gibt immer wieder ganze Bücher, die der Verehrung trinkender Schriftsteller gewidmet werden, im Kern aber die Bewunderung schriftstellernder Trinker betreiben. Und es gibt Figuren wie den irischen Dichter Dylan Thomas, bei denen die Frage ist, ob ihr Weltruhm wirklich auf ihren Versen beruht  – oder auf der beeindruckenden Zielstrebigkeit, mit der sie sich zu Tode gesoffen haben.
    Viel häufiger kommt es aber natürlich vor, daß man beim Lesen einen Rausch empfindet, der den Schöpferrausch
direkt zu verlängern scheint. Und daß dieser Schöpferrausch oft genug mit berauschenden Getränken in Gang gebracht wurde: Dafür gibt es bei allen gesundheitlichen Bedenken eine ganze Reihe von guten Gründen.
    Schriftsteller aller Zeiten, vor allem aber die des 20. Jahrhunderts, tranken, um sich gut zu fühlen und loslegen zu können. Manche tranken aber auch, um sich schlecht zu fühlen, denn auch das Leiden kann eine Triebfeder zum Schreiben sein. Es ging darum, in Gang zu kommen, sich Mut anzutrinken, das Lampenfieber wegzuspülen, das es natürlich auch beim Schreiben gibt; es ging darum, dem Kritiker in sich den Mund zu stopfen und dem eigenen Größenwahn die Sporen zu geben, weil sonst das Blatt ewig weiß bleiben würde. Es ging, für die gewohnheitsmäßigen Trinker, darum, sich überhaupt erst einmal nüchtern genug zu trinken, um die Tasten der Schreibmaschine zu treffen. Und natürlich ging es immer um die Inspiration. Daß Trinken und Inspiration eins seien, das hatten sie schon in der Antike geglaubt. Und wenn schon Plutarch seine Sachen »in der Weinhitze« schrieb, warum sollte sich dann nicht auch Hemingway beim Schreiben einen genehmigen dürfen? Und wenn Hemingway behauptete, alle guten Schriftsteller seien Trinker, dann legten sich natürlich erst recht auch alle mittelmäßigen Schriftsteller ins Zeug. Denn Schriftsteller tranken natürlich immer auch, weil andere
Schriftsteller tranken. Weil es irgendwann dem Bild eines Schriftstellers entsprach zu trinken. Und sie tranken, weil sie trinken konnten: Die ungeregelten Arbeitszeiten, der Arbeitsplatz im Caféhaus oder in der einsamen Kemenate  – nicht der Mensch sucht sich seinen Beruf, sondern der Beruf den Menschen. Und Schreiben ist ideal zum Trinken. Anders als in normalen Berufen, wo die Flasche im Zweifel zum Rausschmiß führt, scheint sie beim Schriftsteller irgendwie zu den Arbeitsmitteln zu zählen.
    Damit soll keinesfalls der Alkoholkonsum der anderen künstlerischen Gewerke geschmälert werden. Auch Jazzmusiker standen immer in dem Ruf, leistungsstarke Trinker zu sein. Rockmusiker sowieso. Bei den bildenden Künstlern

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