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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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erster Linie ein haltbareres Nahrungsmittel war als Wasser. Was es in zweiter und dritter Linie war, auch bei den ehrenwerten Pilgervätern, darüber muß man sich keine Illusionen machen. Der Historiker Detlef Briesen schreibt: »Verläßt man sich auf vorliegende Schätzungen, dann trank ein über 15jähriger um 1790 im Jahr rund 2,2 Liter Wein, 20 Liter Spirituosen und 130 Liter Bier … Wahrscheinlich waren viele Kolonisten nach heutigen Standards regelmäßige bis schwere Trinker.«
    Amerika erwies sich auch in diesem Bereich als das Experimentierfeld für den Rest der Welt. Es wurde übermäßig getrunken, bald aber auch übermäßig dagegen vorgegangen. Das lag ganz sicher nicht nur an den strengen Moralvorstellungen der Pietisten, es waren viel profanere Gründe: Das ungeheure Ansteigen des Spirituosenkonsums, die sogenannte Branntweinpest, drohte die öffentliche Ordnung zu untergraben.
    Getrunken wurde während der Arbeit, auch von Kindern und oft schon zum Frühstück. Um elf und dann
noch einmal am Nachmittag wurden allgemeine Trinkpausen eingelegt, und was dann zum Tagesausklang geschah, kann man sich denken. Was das Feuerwasser mit den Indianern gemacht hat, weiß jedes Kind, das Western kennt. Was es gleichzeitig mit den Weißen im Westen machte, fing irgendwann an, bei den Eliten im Osten Besorgnis zu erregen. Nach den Engländern wurde der Alkohol zum Hauptfeind der amerikanischen Revolutionäre  – und der Mann, der ihm am entschiedensten entgegentrat, trug den dafür geradezu idealen Namen Benjamin Rush. Rush war einer der Gründungsväter der USA und legte 1784 ein Werk mit dem Titel »Inquiry into Effects of Ardent Spirits« vor. Beigelegt war dem Buch eine Art Thermometer, das nicht nur die ansteigende »Hitze« der Spirituosen anzeigte, mit dem Rum an der Spitze, sondern auch die entsprechenden Folgen der Verwahrlosung bis hin zu Raub und Mord oder Tod  – sowie natürlich die Konsequenzen daraus: am Ende Gefängnis und Strick. Rush war einer der ersten, die entschieden für Verkaufsbegrenzungen und hohe Alkoholsteuern eintraten, und die, die ihm darin folgten, bildeten bald eine breite Bewegung. Man nannte sie die »Temperenzler«.
    Zu den Prohibitionisten, die später dazukamen, verhielten sich die Temperenzler ungefähr so wie die Sozialdemokraten zu den Kommunisten: Irgendwann schien es klüger, es mit ihnen zu halten, um sich die noch radikalere Variante zu ersparen.

    Trotzdem bekamen mit jeder Einwandererwelle, die den amerikanischen Kampf gegen das alte europäische Laster Alkohol unterhöhlte, die radikalen Gegner des Trinkens neuen Auftrieb. Es kam zu Demonstrationen. Es kam zu Pray Ins . Es kam dazu, daß Amerikas Frauen in die Saloons zogen, sich niederknieten und be-teten  – in der Hoffnung, daß ihre Männer, ihre Brüder und ihre Söhne wenigstens für die Dauer dieses Gebetes ihr Glas absetzen würden. Wer schon für die Befreiung der Sklaven gekämpft hatte, der machte oft an dieser Front gleich weiter. Der Kampf gegen den Alkohol war hier lückenlos eingebunden in eine amerikanische Agenda des Fortschritts. Es ist insofern vielleicht auch kein Wunder, daß dann selbst Leute wie Henry Ford oder John D. Rockefeller überzeugte Prohibitionisten waren: Betrunkene paßten nicht in den Kapitalismus; sie waren der neuen Komplexität und Geschwindigkeit nicht gewachsen, gefährdeten den Straßenverkehr und waren am Fließband nicht zu gebrauchen.
    Das Scheitern der Prohibition war so gesehen weniger ein Rückschlag als ein Etappensieg. Viele haben dadurch noch viel mehr gesoffen. Noch mehr haben aber wesentlich weniger und wesentlich Gesünderes getrunken. Die Masse der Amerikaner hieß eben nicht Fitzgerald. Und den Nebengeschmack von ewigem Freiheitskampf hat die Anti-Alkoholbewegung in Amerika bis heute.
    Vielleicht konnte deshalb auch nur in den Vereinigten
Staaten eine Bewegung wie Straight Edge entstehen. In den frühen 1980er Jahren war das, als die zweite Generation der Punks mit ansehen mußte, wie die erste Generation mehr oder weniger vollzählig dem Drogentod entgegenwankte. Das große X, das an der Kasse der Konzertclubs diejenigen auf die Hand gemalt bekamen, denen noch kein Alkohol verkauft werden durfte, weil sie noch nicht 21 waren, dieses zum stolzen Signet umgewandelte Brandmal ist seitdem für die Eingeweihten der Popkultur ein Zeichen für Abstinenz in jeder Hinsicht. »I don’t smoke, I don’t drink, I don’t fuck«, brüllt Ian MacKaye, der Kopf

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