Über das Trinken
Ferien dahin zu fahren, wo es garantiert nicht sonnig ist.
Aber dann gewann ich eines Tages einen Preis. Die Geschichte ist mir ein wenig unangenehm, aber sie ist lehrreich. Irgendein Trampel aus der Reiseredaktion hatte einen Text von mir eingereicht, und ich gewann einen Reisegutschein. Der Reiseveranstalter, von dem der Gutschein stammte, bot aber nur Rentnerreisen an. Und Sprachreisen für Jugendliche. Zum Beispiel zwei
Wochen London mit Hotel am Hyde Park. Der Reiseveranstalter fragte, ob das mein Ernst sei. Ich sagte, das sei mir zumindest lieber als eine Flußkreuzfahrt mit Hundertjährigen. Und dann verbrachte ich eben zwei Wochen in London am herrlichen Hyde Park.
Es war Mai, und es regnete durchaus nicht immer. Eines Abends traf ich in der Royal Albert Hall auf den großen Münchener Dichter G. mit seiner bezaubernden Ehefrau. Er hatte ihr den Ausflug als Überraschung organisiert, mit Konzertkarte und Übernachtung in einem extrateuren Hotel; sie waren in Feierlaune. Ich sowieso. Und so stießen wir mit Gin & Tonic darauf an. Nachher bekamen wir Hunger und aßen irgendwo Fish and Chips , was sonst? Im Fernseher liefen die letzten Minuten eines Fußballspiels; Chelsea ging gegen Manchester unter, das Spiel war in London, aber alle Londoner schienen irgendwie für Manchester zu sein. Einer ließ sich vor Freude einen Mars-Riegel ins Frittierfett werfen. Ein neuer Trick aus Schottland, erklärte er: frittierte Schokoladenriegel. Dann sei der Magen inwendig einmal komplett ausgekleidet mit Zucker und Fett; anschließend könne ernsthaft getrunken werden. Und das tat er dann wohl auch.
Wir dagegen nahmen unseren Absacker in der Bar ihres Hotels am Grosvenor Square, im feinen Mayfair, wo eine ältere Japanerin spektakuläre Obszönitäten herumkrakeelte. Die Frau war allerdings auch spektakulär betrunken.
Ich weiß gar nicht mehr, was mich mehr erstaunte. Daß eine Japanerin in der Öffentlichkeit solche Sauereien von sich gab. Oder daß eine Japanerin dermaßen hemmungslos pichelt, wo es doch immer heißt, daß Asiaten genetisch oft weniger gut darauf ausgelegt seien, Alkohol wegzustecken als zum Beispiel Europäer. Vermutlich hing beides aber zusammen. Leise präludierte das Piano, in den Gläsern sangen dazu die Eiswürfel ihr klackerndes Lied, und aus der Ecke der Japanerin wogte in Abständen euphorisches Gekrächz herüber voll von dicks und pussies . Die Frau, so erklärte mir mein kundiger Begleiter, habe in ihrer Jugend verschiedenen englischen Rockstars als Muse gedient, daher ihr womöglich etwas überraschender Wortschatz.
Während wir da nun in den samtenen Möbeln versunken am Whiskey nippten und den vulgären Verlautbarungen lauschten, löste sich aus einer Gruppe an der Bar ein junger Kerl und kam zu uns herüber. Er hatte ein Gesicht, das exakt genauso rot war wie sein Shirt, und das war ein Shirt in dem sehr roten Rot von Manchester United. Ein echter Manc , wie er sagte, er habe das Spiel in London gesehen, freue sich über den schönen Erfolg und trinke nun hier darauf. Da er sehr groß und sehr dick war, paßte offensichtlich auch eine Menge in ihn hinein. Ich wunderte mich zwar, daß er ausgerechnet in einem derart teuren Hotel gelandet war, um seinen Sieg zu begießen. Aber er erklärte, daß er ein erfolgreicher
Immobilienmakler sei und nur nebenher und zur Feier des Tages Fußballprolet.
Und dann erklärte er mir noch etwas: seine Liebe.
Der dicke rote Mann legte seine Pranke um meine Schulter, zog mich zu sich heran und sagte: »I love Germans.«
Naß bebte seine Unterlippe; aus seinem Gesicht wehte ein Wind aus Bier, Gin und Kartoffelchips.
»Und ich liebe den britischen Humor«, murmelte ich, mehr aus Höflichkeit.
Ein Berg aus rotem Fleisch, schwankend, in meine Richtung kippend … Ich bekam es ehrlich mit der Angst.
G. lag mit seiner Frau in den Polstern und kriegte sich kaum noch ein vor Freude.
Was dann passierte, ist nur vergleichbar mit der Verwandlung von Dr. Jekyll in Mr. Hyde. Der rote Mann war plötzlich über mir, vor mir, neben mir, er war überall, und er fauchte, ich solle ihn verdammt noch mal ernstnehmen, das sei kein Scheißspaß hier, er meine das WIRKLICH.
»I LOVE Germany!« brüllte er, so daß auch die anderen in der Bar aufmerksam wurden.
»Love ME!« krähte von der anderen Seite des Raumes aus die Japanerin.
»I love Beckenbauer. I love Adolf Hitler. And I love you!« sagte der sehr große, sehr rote und sehr betrunkene Mann mit großer
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