Über das Trinken
in diesem Punkt vermutlich vom Verschwinden bedroht. Globalisierung und Angleichungsdruck innerhalb der Europäischen Union werden auch vor den gewachsenen Trinkkulturen kaum haltmachen.
Aber an solchen Punkten ist immerhin noch spürbar, daß Europa jahrtausendelang zweigeteilt war. In einen Süden und in einen Norden, in Weinländer und in Bierländer. In Gegenden, die das Trinken als etwas Alltägliches behandeln – und in solche, die das Trinken bewußt
als feierlichen Exzeß betreiben. Nehmen wir Spanien und Schweden als geographische wie trinkkulturelle Extreme. Hier täglich, aber wenig. Dort gelegentlich, aber dann gewaltig. Zwei entgegengesetzte Konzepte, mit der Sache umzugehen. Sollen Suchtexperten entscheiden, welche sie besser finden (die einen sagen so, die anderen so, wie immer).
Aber welches Land liegt, geographisch und folglich auch in den Trinksitten, mal wieder in der Mitte?
Genau. Deutschland.
XIII. Heißt das Paradies des Trinkens Deutschland?
Trinken – nationales Wesensmerkmal der Deutschen · Weinländer und Bierländer · Trinkspiele · Kirmes und Erster Mai · Lob des Kölner Karnevals · Lob des Münchner Oktoberfests · Trinken gegen den Terrorismus
In Deutschland werden beide Trinkkulturen, die mediterrane und die nordische, traditionell kombiniert: jeden Tag – und dann aber so richtig.
»Die Alkoholkultur in Deutschland ist ein nationales Desaster«, ließ der Leiter der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen im Jahr 2010 verlauten.
Man könnte auch sagen: Sie ist ein nationales Wesensmerkmal. Wenn den Deutschen, die ja nun wirklich schon für vieles gerühmt und für noch viel mehr geächtet wurden, eines wirklich seit Urzeiten nachgesagt wird, dann ist das ihre Spitzenstellung im Trinken.
Das hat Tacitus bereits über die alten Germanen geschrieben, und da er es ja auch nur abgeschrieben hat, muß es schon vorher zum Allgemeinwissen der römischen Welt gehört haben. Graciáns Alkoholtiraden spielen in einer »bacchischen Behausung«: dem »teutschen Palast«. Und dann gibt es noch die sogenannte Völkertafel aus der Steiermark. Ein Gemälde aus dem frühen
18. Jahrhundert ist das – und eine Art Gründungsurkunde der Nationalklischees. Ein unbekannter Maler hatte darauf den Völkern Europas ihre vermeintlich typischsten Eigenschaften zugeordnet; und das Ergebnis ist unzweifelhaft. Hier nur ein paar Beispiele:
Unterpunkt »Vorlieben«:
Spanier: Ehre und Ruhm
Franzosen: Krieg
Deutsche: Trinken
Unterpunkt »Zeitvertreib«:
Spanier: Spielen
Franzosen: Betrügen
Deutsche: Trinken
Schließlich der Punkt »Ihr Lebensende«:
Spanier: Im Bett
Franzosen: Im Krieg.
Deutsche: Im Wein.
Die meisten ethnischen Stereotypen gelten heute als gestrig. Manche aber bleiben hängen. Zum Beispiel dieses.
Vielleicht liegt das gar nicht nur an den konsumierten Mengen, vielleicht liegt es auch daran, daß Deutschland eben in der Mitte liegt, daß sich hier alles trifft – und sich dadurch die Dinge zu größerer Auffälligkeit steigern.
In Deutschland trifft an Rhein und Main seit der Antike der Süden mit seiner lateinischen Weinkultur auf einen Norden, in dem Trinkfestigkeit zur herausragenden Göttertugend zählt.
Im germanischen Himmel wird ja praktisch pausenlos gesoffen. Das Walhalla, auf das heute noch etliche Skinheads vertrauen, ist in erster Linie der Ort, an dem die toten Krieger in alle Ewigkeit saufen dürfen. Und Thor, der ständig zu Wettkämpfen aufgefordert wird, ist es egal, ob die Disziplin Hammerwerfen oder Kampftrinken heißt. Wer voll vom Met am Strand der Nordsee steht, der denkt sich eben auch die Gezeiten als einen Versuch der Götter, im Wettkampf das Weltmeer auszuschlürfen. Jeder Schluck eine Ebbe. Und jede Flut?
Kann man sich denken. Die Mythologie der alten Germanen hat da etwas herzhaft Lebensnahes: Zechen ist ja selbst ein ewiges Rein und Raus der Flüssigkeiten, und etwas grundsätzlich Ozeanisches hat das Bier bis heute. Etwas Unerschöpfliches. »Der Stoff muß vorhalten«, und: »Am Bier wird nicht genippt«, wußte Ernst Jünger, der vielen eher als Weinkenner bekannt ist, als einer, der zum Beispiel Aufschlußreiches darüber zu schreiben verstand, wie man durch ein Glas Burgunder auf das in Brand geschossene Paris zu schauen hat. Aber seine Abenteuer trieben ihn durchaus auch in die »Nebelländer« des Nordens, wo der Wein nicht hinpasse, wo eben Bier getrunken werde, wo »die Menge des Stoffs wesentlich«
sei,
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