Über das Trinken
geschlagen. Ritualhaft beklagen am nächsten Tag Polizei wie Medien das Ritualhafte an den Ereignissen. Vielleicht wäre es aber einfacher und sinnvoller, das Ritual als solches anzuerkennen und mit Toilettenhäuschen auszustatten. Die revolutionäre Folklore spielt für die meisten Teilnehmer letztlich schon seit Jahren kaum noch eine andere Rolle als der Rosenmontagszug für den Kölner Straßen-karneval – es ist der Anlaß, aber entscheidend ist das Drumherum.
Auch der Karneval war ja einmal ein revolutionäres Ritual, oder eine ritualisierte Revolution, ein Element im Freiheitskampf. Daher sind Prunksitzungen mit ihrem »Tataa« und ihren Vereinsmeierkostümen auch strukturell dem durchritualisierten Burschenschaftsgesaufe mit seinem ebenfalls durchritualisierten Studenten-Jokus-Getue so ähnlich. Beides sind verspießerte Restbestände der Revolution von 1848. Und beides hat wiederum Emanzipationsbewegungen provoziert, die in dem einen Fall, grob gesagt, Studentenbewegung oder Kommune 1 hießen – und in dem anderen Weiberfastnacht und Stra-ßenkarneval. In jedem Falle ging es darum, daß Frauen mehr mitmischen wollten und sollten, was ja immer nur begrüßt werden kann.
Nichts teilt die Menschheit so strikt in zwei einander streng verständnislos gegenüberstehende Gruppen wie speziell der Kölner Karneval. Nämlich in die, die ihn hassen. Und in die, die schon einmal dabeiwaren.
Karneval verkörpert alles, ALLES, was einem aufgeklärten Großstadtbewohner zutiefst zuwider sein muß: Brauchtum, Massengeschunkel, schlechter Geschmack. Ein Großstadtbewohner, ein aufgeklärter und kultivierter zumal, braucht solche Atavismen nicht; in der Großstadt ist immer Kirmes. Heiterkeit nach dem Terminkalender, verordneter Frohsinn, überhaupt das massiv Massenkulturelle und gleichgetaktet Schunkelnde an der Sache, das sind alles Dinge, die regelrechte Aversionen und politische Abwehrreflexe hervorrufen. Deshalb ist ein habituelles Angewidertsein jedenfalls für Menschen mit Abitur geradezu verpflichtend. Und deshalb gehört es geradezu zu den Geboten des Nonkonformismus und zu den letzten großen intellektuellen Abenteuern, sich einfach mal mittenhinein zu schmeißen. Denn wo das automatisch nachgeplapperte »Igitt« zum Mainstream wird, ist Mitmachen am Ende die kritischere Haltung. Klar, das geschieht nicht aus Lust, sondern aus Angst. Aber darum geht es ja. In Kreuzberg die Nächte lang werden lassen, kann jeder. Zur Weiberfastnacht nach Köln – das erfordert Mut und Leberstärke.
Ich sehe mich noch am Abend zuvor, in einem spektakulär häßlichen, dafür aber auch zum Totlachen teuren
Hotelzimmerchen liegen. Draußen, hinter der quadratischen Verbundfensterscheibe, wäre irgendwo der Dom zu sehen, wenn nicht eine mit Wut blickdicht gehäkelte Gardine davorhinge. Das Fernsehen spuckt eine dieser trübsinnigen Karnevalssitzungen in das Zimmer, Männer mit gezwirbelten Schnauzbärten sprechen zu mir und verschlucken bei jedem L ihre Zunge; wenn das Orchester einen Tusch spielt, weiß man, daß es eine Pointe gegeben haben muß. Dann zeigt das Fernsehbild Lokalpolitikergattinnen, denen Tränen der Freude durch die Schminke rollen. Sehr traurig und beklommen liegt man da auf seinem Bett, und später träumt man, dieses sogenannte Rheinland mit seiner angeblichen Fröhlichkeit ließe sich irgendwie den Franzosen wieder unterjubeln.
Am nächsten Morgen dröhnen dann schon die Karnevalslieder von der Straße ins Zimmer, im Frühstücksfernsehen gibt es eine Live-Schaltung zum »Alter Markt«, denn die Unbeugsamkeit der Kölner macht auch vor ihren Wörtern nicht halt. Auf dem »Alter Markt« jedenfalls singt eine Reporterin aufgekratzt »Kölle Alaaf«. Dann sagt sie: »Nichts geht mehr«, wie ein Croupier in einer Spielbank, und zeigt auf die Menschenmassen, die alles vollgestellt haben mit ihrem Frohsinn. Gleich wird es elf Uhr elf sein, und das besagt eigentlich nicht viel mehr, als daß wer jetzt noch kein Bier hatte, wirklich dringend eines braucht. Karneval ist nichts für Nüchterne. Nüchterne sind nichts für Karneval. Es ist ein System
von spiralhaft in den Vollrausch hineinführenden Zirkelschlüssen. Karneval ist ein Fest, bei dem sich erwachsene Menschen verunstalten und dann aus Scham darüber betrinken. Dadurch wird es irgendwann lustig.
Am Ende steht man dann, von der fahlen Wintersonne beschienen, irgendwo in der Südstadt in einer Kneipe und ist heilfroh, da zu sein. Entrinnen kann
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