Über das Trinken
Flughafentransitbereich der Welt aufgestellt werden können – was sie ja auch werden. Mit der spanischen Bar von der Straßenecke ginge das nicht. Passanten würden auf ein öffentliches Schwimmbad tippen oder eine Schlachterei.
Wo es draußen überwiegend heiß und sonnig ist, hat eine Bar nicht die Aufgabe, auch noch warm und anheimelnd zu sein. Es geht im Gegenteil um Kühle und Erfrischung, auch geistig. Entsprechend die Materialien, entsprechend auch das Licht. Nur Nordeuropäer können hier auf die Idee kommen, Ungemütlichkeit zu monieren, nur weil die Neonröhre flackert, alle fünf Minuten jemand mit einem großen Besen alles wegschiebt, was auf den Boden geworfen wird, Servietten, Zigarettenstummel, Essensreste, weil durchgängig der Fernseher plärrt, und weil sich alle drei Minuten eine Fliege mit lautem Peng in den elektrischen Insektenkiller über der Tür verabschiedet. Immerhin sind die Wände oft durchgängig in warmen Fleischfarben gehalten, dank der Schinkenkeulen, die da an den Kacheln hängen wie die Schuppen an einem Fisch …
Noch heute stehe ich jedesmal in rasender Begeisterung vor den Zinktresen solcher spanischen Bares und Cervecerías, bestelle meine caña und freue mich, wenn mir mit Torero-Geste ein Zahnputzbecherchen voll schaumlosen Bieres hingeknallt wird. Oder ich bestelle einen Vermouth del grifo , einen roten Wermut, der tatsächlich aus dem Zapfhahn kommt, genau wie das Bier. Dann nippe ich einen kleinen Schluck – und danach bleibt das Glas erst einmal stehen. Mindestens eine halbe Stunde lang. So will es die Landessitte. Man ist ja nicht zum Trinken hier, sondern um Kommentare über die Situation von zum Beispiel Real Madrid abzugeben – und darüber seinen Drink weitgehend zu vergessen. Jedenfalls sollte immer noch so viel im Glas sein, daß nach der endgültigen Klarstellung sämtlicher Verhältnisse durch den Sprechenden ein kräftiger letzter Schluck genommen werden kann – mit der Bedeutung eines »Basta!«.
Redseligkeit schützt vor Leberschäden, das ist das ganze Geheimnis des Südens. Große Gesten und kleine Portionen. Und durchgängige Verfügbarkeit. Die spanische Bar ist ein zeitliches und räumliches Kontinuum: Getrunken werden kann und darf praktisch jederzeit und überall. Die Zahl der gastronomischen Betriebe ist in den großen Städten Spaniens noch heute dermaßen gigantisch, daß man den Eindruck hat, in jedem zweiten Haus eine Kneipe zu finden. Seit Jahren wird allerdings in den Medien das stille Sterben der kleinen spanischen
Bar beklagt (so wie in Berichten aus England das der Pubs und aus Frankreich das Verschwinden der Baguettes). Das heißt, es hat noch vor wenigen Jahrzehnten in vielen Gegenden buchstäblich in jedem Haus eine Kneipe oder ein Restaurant gegeben, oft sogar mehrere.
Was jemand sieht, der sich Spanien anschauen will, sind in allererster Linie Trinkstätten. Was er so gut wie nie sehen wird, das sind borrachos , Betrunkene. Wer in Madrid die borrachos sehen will, muß schon in den Prado gehen, wo ein berühmtes Gemälde von Diego Velázquez hängt, welches man, sozusagen mit Spitznamen, so nennt. Eigentlich heißt es »Bacchus« oder »der Triumph des Bacchus« oder auch »Bacchus erobert Spanien«. Eine Runde sonnengegerbter Bauern ist zu sehen und ein Bacchus, der aus weißem Marmor oder auch aus Speck zu bestehen scheint. Er setzt den Bauern Kränze aus Weinlaub auf den Kopf, die Bauern trinken und freuen sich. Die Kunsthistoriker haben immer viel zu deuten gehabt an dem Bild. Ist es eine Karikatur? Ist es eine Kritik an der Trunksucht? Oder ist es doch ganz einfach das, wonach es aussieht – eine Feier der Feierlichkeit?
Aber wenn Bacchus die Spanier mit seinen Segnungen erobert haben soll – wo sind dann die Eroberten? Anders als in London sieht man in Madrid nie jemanden mit eingenäßter Hose vor der Kneipe liegen. Befinden sie sich in einem bis heute währenden Widerstandskampf?
Nirgends ist das Nachtleben so laut und so überbordend wie in den Straßen Spaniens, nirgends wird so viel Kokain konsumiert (doch, das ist erwiesen, man kann das an der Belastung der Abwässer nachweisen), und nirgends wird ganz allgemein so energisch gefeiert. Aber so richtig hart gesoffen? Wird komischerweise dabei nicht.
Vielleicht kommt man nicht dazu, weil immer viel zu viel zu reden, zu knutschen, zu fluchen und zu lachen ist. Ich habe dort zwar Biergläser gesehen, die einen ganzen Liter faßten, wie in Bayern,
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