Über das Trinken
aber dann teilten sich da den Abend über bis zu acht Leute hinein, und da sie auch beim Trinken im allgemeinen nicht aufhörten zu reden, wurde der Humpen praktisch nie leer. Trunkenheit, Blackouts und Alkoholismus sind nichts, worauf einer übertrieben stolz wäre dort. Jedenfalls kam mir das immer so vor. Und offenbar sahen die Spanier das selber auch immer so.
Bei dem Barockdichter Baltasar Gracían, der etwa zur gleichen Zeit wirkte wie Velázquez, stellt sich der Triumph des Bacchus in Spanien etwas anders dar. In seinem großen Welterklärungs-Roman, dem »Criticón«, wird der Weingott zu einem betrügerischen Krämer, der seine Ware in Schläuchen auf ein Maultier packt und in den Ländern Europas anpreist, zuerst in Deutschland. Die Deutschen kosten ausgiebig und sind überwältigt. Um das, was die Deutschen zuviel hatten, wieder auszugleichen,
füllt der Maultiertreiber die Weinschläuche mit Wasser aus der Schelde auf. (Aus der Schelde deshalb, weil unter die Deutschen damals auch die Niederländer gezählt wurden.) Die Franzosen, denen er den gestreckten Wein danach dann andreht, macht er immerhin noch »lustig« und bringt sie zum »Pfeifen und Hüpfen«. Als er endlich nach Spanien kommt, ist der Wein aber dann schon dermaßen verdünnt, daß er praktisch gar keine Wirkung mehr hat. »So haben denn alle diese Völker weitergetrunken: die Teutschen pur, nachgeahmt von den Schweden und den Engländern, die Franzosen spülen schon einmal die Trinkschale mit Wasser, die Spanier aber trinken dünnen Trester.« Angeblich aber nur, »um nicht unter der Gewalt des Weines das Geheimnis ihres Herzens preiszugeben«.
Was auch immer die Geheimnisse eines spanischen Herzens sein mögen, noch weniger ratsam war es sicher, gewisse Geheimnisse des Glaubens preiszugeben: Wir sprechen von einem Land mit umsichtiger Inquisition.
»Zweifelsohne ist das der Grund gewesen«, heißt es bei Gracián, dem alten Jesuiten, nämlich weiter, »weshalb die Ketzerei in Spanien nicht Fuß fassen konnte wie in anderen Provinzen, weil die Trunksucht dort nicht Einzug gehalten hat. Das sind unzertrennliche Kumpaninnen, nie werdet ihr die eine ohne die andere sehen.«
Trinken, hatten wir gesehen, kann eine religiöse und eine soziale Handlung sein. Warum nicht auch eine soziale
und religiöse Zwangshandlung? Ich könnte mir vorstellen, daß die spezielle Trinkkultur der Spanier uralte kulturkämpferische Wurzeln hat, daß die Mäßigung ein Produkt der Angst ist, so wie der Segelkurs des Odysseus zwischen den zwei Seeungeheuern: Auf der einen Seite darf man nie so viel trinken wie so ein bierseliger Lutheraner, auf der anderen Seite aber schon gar nicht so wenig wie ein Moslem. Was empfiehlt sich aber, wenn man von katholischen Fanatikern nicht als heimlicher Moslem oder Protestant denunziert werden will? Zu jeder Tages- und Nachtzeit mit einem Gläschen gesehen zu werden – und dazu demonstrativ Teile vom Schwein zu verzehren. Den Schinken, die Ohren, und als Snack auch die frittierte Haut …
Die mediterrane Lebensweise, die einem Ernährungs-und Gesundheitsexperten so oft empfehlen, läuft im Grund auf das Pegeltrinken hinaus. Auf Alkohol als Alltag. Als Normalität.
Italienische Wirte vermitteln ihren Gästen überall auf der Welt mit Erfolg, daß es eine Kultur- und Sittenlosigkeit wäre, zu ihrem Essen keinen Wein zu nehmen. Und der Grappa aufs Haus, der immer mit der Rechnung kommt, der müßte, Gewohnheitsrecht, inzwischen sogar einklagbar sein.
Als unveräußerliches Menschenrecht gilt der Wein natürlich vor allem dort, wo der beste davon herkommt, in
Frankreich. Ein Kollege, der zur Hälfte Franzose ist, berichtet jedoch, seine französischen Großeltern beklagten neuerdings eine geradezu »faschistische Polizei«, die unbescholtenen Franzosen mittlerweile schon im Straßenverkehr auflauere, um ihnen die Flasche Wein madig zu machen, die zu einem Mittagessen aber doch nun einmal dazugehöre. Seltsame Zeiten seien das, vermerkte der Großvater aus dem Bordelais wieder und wieder. Er sei ja aufgeschlossen, die Menschen flögen zum Mond heutzutage und lebten in wilder Ehe, alles sei möglich in diesen Zeiten, warum also nicht auch Wein von sonstwoher, sogar von der Loire oder noch exotischeren Orten, dem Ausland am Ende … Nur für ihn sei das nichts, er sei zu alt; aber wenigstens seine Flasche Bordeaux zum Steak am Mittag, die solle man ihm bitte lassen, mehr verlange er gar nicht.
Das alte Europa! Auch
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