Ueber Den Deister
Polizeiautos.
Er gab den Schlaf auf und fing an zu grübeln. Er dachte über Vera Matuschek nach. Über ihr Leben bis zum Tod ihres Mannes war er leidlich informiert. Über ihr Leben nach seinem Tod hatte er bisher kaum etwas erfahren. Solange ihm das nicht gelang, hatte er wenig Aussicht herauszufinden, wo sie jetzt sein konnte.
Marder ließ seine Unterhaltungen mit Brenner, Anja und Neuberger in sein Gedächtnis zurückfließen und stellte am Ende entmutigt fest, dass er nicht mehr über das rätselhafte Verschwinden von Vera Matuschek wusste als bei seiner Ankunft in Barsinghausen.
Nur eine Person konnte ihm noch helfen, eine Spur zu finden: Veras Sohn Bertram. Er wusste, dass Bertram und seine Mutter sich nicht sonderlich nahestanden, und er bezweifelte, dass Vera ihrem Sohn etwas anvertraut hatte, was sie vor ihrer Tochter geheim gehalten hatte. Trotzdem wollte er unbedingt mit ihm sprechen.
Marder versuchte, sich die Einzelheiten seines Rundgangs in Veras Haus ins Gedächtnis zurückzurufen. Hatte er etwas übersehen? Hatte er nicht beim Verlassen des Hauses das Gefühl gehabt, etwas entdeckt zu haben? Er war zu müde, um sich darauf zu konzentrieren. Trotzdem schlich sich eine Erinnerung in sein Bewusstsein, etwas, das er gesehen, worauf er aber nicht reagiert hatte. Der Gedanke war weit weg, zu weit, um ihn daran zu hindern, wieder einzuschlafen. Der Gedanke wurde Teil eines Traumes, den er vergessen hatte, als er aufwachte.
Unausgeschlafen und unzufrieden mit sich betrat Marder den Frühstücksraum. Er war früher aufgestanden als an den Tagen zuvor und hoffte, dass die Thermoskanne mit heißem Kaffee auf dem Tisch stand. Brötchen würden später kommen, Frau Thann war um diese Zeit noch nicht vom Bäcker zurück. Normalerweise genoss er ein Schwätzchen mit seiner Wirtin zum Frühstück, aber heute wollte er in Ruhe über seinen geplanten Besuch bei Bertram nachdenken und überlegen, was er ihn fragen musste.
Ein Mann saß im Raum, leider auf dem Stuhl, auf dem Marder am liebsten frühstückte.
»Hallo, Fremder«, sagte der Mann. »Bereit für den Ritt in den neuen Tag?«
Was soll der Unsinn, dachte Marder. Er hatte keine Lust, sich von einem Unbekannten seine schlechte Laune verderben zu lassen, zumal von einem, der ihm seinen Lieblingsplatz weggenommen hatte. Missmutig schaute er den Mann an. Gewöhnlich ließ sich Marder Zeit, bevor er sich festlegte, ob er jemanden leiden konnte oder nicht. Bei diesem Mann war er sich sofort sicher, dass er ihn nicht zu seinem Geburtstag einladen würde. Marder schätzte sein Alter um die fünfzig, konnte sich dabei natürlich um Jahre täuschen. Das Haar des Mannes sah ungepflegt aus, und sein Gesicht wirkte gleichzeitig aufgedunsen und abgeschlafft. Auf ihn trifft diese ausgeleierte Floskel von den entgleisten Gesichtszügen zu, dachte Marder.
Der Anzug des Mannes schrie nach einer chemischen Reinigung und einem Bügeleisen. Sein Hemd machte nicht den Eindruck, als wäre es heute Morgen frisch aus dem Schrank geholt worden. Sein Schlips hatte die grellen Farben wie die aus seinen frühen Berufsjahren, welche Iris nach seiner Pensionierung an eine Freundin verschenkt hatte, die daraus Patchworkdecken nähte. Im gleichen Moment schämte sich Marder wegen seiner Intoleranz und Vorurteilen einem völlig fremden Menschen gegenüber.
»Guten Morgen«, grüßte Marder und setzte sich an den Nebentisch.
»Darf ich mich vorstellen?«, fragte der Mann. »Ich heiße Kurt Schweinzer. Und wie heißen Sie?«
»Marder«, antwortete Marder.
»Ein schöner Name, ein kluges und listiges Tier, ganz nach meinem Gusto – ich glaube, es steht weit oben auf der Liste der roten Lebewesen, die vom Aussterben bedroht sind.«
Marder bezweifelte das und vermied, den Mann darauf hinzuweisen, dass nicht die Lebewesen, sondern die Liste rot war.
Herr Schweinzer ließ sich nicht beirren: »Und was machen Sie hier?«
»Ferien.«
Marder versuchte durch seinen Tonfall, Kurt Schweinzer nicht zu weiteren Nachfragen zu animieren. Vergeblich.
»Toll, dafür ist das hier der richtige Platz. Hügel, Wälder, frische Luft und so. Und was machen Sie so von Berufs wegen?«
»Rentner.«
»Sie haben es gut, Sie haben es schon geschafft. Ich habe noch ein paar Jahre Sklavenarbeit vor mir. Ihre Frau ist sicherlich schon gestorben, sonst wären Sie nicht alleine hier.«
Marder erwiderte nichts. Sein Familienleben ging diesen anmaßenden Typ nichts an.
»Übrigens«, fuhr Schweinzer fort,
Weitere Kostenlose Bücher