Ueber Den Deister
Haus, in dem Bertram wohnte, war es ein Spaziergang von zwanzig Minuten. Da das Haus direkt am Waldrand lag, konnte Marder zu seiner Erleichterung einen Teil des Weges unter dem Schatten von Bäumen zurücklegen.
Bertram empfing Marder mit vorsichtiger Zurückhaltung – wie einen alten Bekannten, den man nicht besonders vermisst hat. Er hätte den Kommissar gern an der Wohnungstür abgefertigt, aber Marder ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um ein längeres Gespräch handeln würde, für das der Hausflur nicht der geeignete Ort sei. Bertram befreite im Wohnzimmer zwei Sessel von Papieren und Kleidungsstücken. Dann versicherte er seinem Besucher, dass er häufiger an ihn gedacht habe – vor allem, weil er ein Schuldgefühl verspüre, wenn er über den Tod seines Vaters nachgrübelte. Marder fiel es schwer, an Bertrams Reue zu glauben.
Wie vor zwei Jahren umgab den jungen Mann eine Aura von Verdrossenheit, die Marder fast körperlich fühlen konnte. Bertram schaute ihm nicht in die Augen, während er sprach, und sein Gesicht zeigte keinerlei Spuren von Lachfalten. Wo sollten diese auch bei einem Menschen herkommen, der wohl nur selten Freude empfand? Bertram war erst um die dreißig, hatte jedoch deutliche Geheimratsecken. Er trug ein grünes T-Shirt und eine erdfarbene kurze Hose, die vermutlich die Sommerversion seiner Uniform als Forstbeamter war.
Bertram berichtete, dass er nach wie vor im Dienste der Forstwirtschaft arbeitete, aber nicht besonders glücklich mit seinem Job sei. Er habe die Nase voll von den ökologischen Fanatikern, die eine sinnvolle Holzwirtschaft und die dazu nötige Jagd unmöglich machten. Er habe im letzten Jahr ernsthaft erwogen, nach Kanada auszuwandern, hatte dann jedoch eine Frau kennengelernt, die ihn davon abgehalten habe. Sie war Buchhändlerin und arbeitete im Buchladen in der Fußgängerzone im Ort. Er hatte sie sehr gemocht, musste aber viel Toleranz aufbringen, da sie lieber Bücher las, als mit ihm in den Wald zu gehen. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen, und so hatte er sich vor kurzem von ihr getrennt. Jetzt denke er erneut über Kanada nach. Marder wollte das gar nicht so genau wissen, versuchte aber, interessiert zuzuhören, um das Klima zwischen ihm und Bertram anzuwärmen.
Während er erzählte, wanderte Bertram im Raum umher, er war nervös und fragte sich vermutlich, warum dieser Kommissar aus Stade wieder in Barsinghausen aufgetaucht war.
»Herr Kommissar, ich habe gehört, dass Sie inzwischen im Ruhestand sind. Darum habe ich mich gewundert, als Sie mich gestern angerufen haben. Was ist los? Warum wollen Sie so dringend mit mir reden?«
»Ich möchte mit Ihnen über Ihre Mutter sprechen.« Bertram schaute Marder verständnislos an. »Über meine Mutter? Warum denn das? Was ist denn mit
ihr?« »Ja … wissen Sie denn nicht?« »Was soll ich wissen? Was ist passiert?« »Ihre Mutter ist seit fast zwei Wochen verschwunden.« »Das ist doch nichts Neues, sie ist doch öfter mal weg.« »Ihre Schwester hat gesagt, normalerweise immer nur für
zwei oder drei Tage.« »Im Allgemeinen schon, aber warum sollte sie nicht mal länger wegbleiben?« »Ihre Schwester macht sich große Sorgen, dass sie so lange
weg ist.« »Das kann schon sein, sie redet ja auch öfter mit ihr.« »Haben Sie eine Ahnung, wo Ihre Mutter hingeht, wenn sie
für ein paar Tage nicht zu Hause ist?« »Nein, nicht die geringste. Meistens bekomme ich es so
wieso nicht mit, wenn sie weg ist.« »Haben Sie denn keinen Kontakt zu Ihrer Mutter?« Bertram nahm einen der vielen kleinen Zettel, die herum
lagen, knüllte ihn zusammen und warf ihn in einen Papierkorb, der neben seinem Schreibtisch stand. Das war jedenfalls seine Absicht. Das Papierknäuel landete gut zwei Handbreit dahinter.
»Mit meiner Mutter rede ich nur alle paar Monate mal, manchmal noch seltener. Sie wird bestimmt in den nächsten Tagen wieder auftauchen und sich wundern, dass wir uns Sorgen gemacht haben …, ich meine, dass meine Schwester sich Sorgen gemacht hat.«
»Haben Sie mit Ihrer Schwester in den letzten Tagen gesprochen?«
»Mit meiner Schwester rede ich noch seltener als mit meiner Mutter, wir sind nie besonders gut miteinander ausgekommen.«
Die rätselhafte Abwesenheit seiner Mutter schien Bertram nicht weiter zu beunruhigen. Er hatte sich offenbar von Mutter und Schwester losgesagt. Was immer sie taten, spielte in seinem Leben keine Rolle.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Mutter
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