Ueber Den Deister
den Bewegungen nach ein sportlicher Typ, aus der Entfernung wirkte er wie ein gestandener Mann im zweiten Teil seiner besten Jahre.
Sein Gegner war etwa im gleichen Alter, jedoch fülliger und bewegte sich schwerfällig. Bällen, die an ihm vorbeiflogen, schaute er hinterher, anstatt ihnen nachzulaufen. Bei über dreißig Grad im Schatten fand Marder das vernünftig. Er selbst hatte noch nie einen Tennisschläger in der Hand gehalten und verstand nichts von den Feinheiten dieses Sports, obwohl er sich im Fernsehen gelegentlich Spiele anschaute – vor allem, wenn ein Deutscher oder eine Deutsche im Finale eines der großen Turniere in Wimbledon, New York oder Paris stand. Die Australian Open in Melbourne hatte er bisher kaum wahrgenommen, weil dort zu Tageszeiten gespielt wurde, zu denen er es vorzog, zu schlafen. Er freute sich jedes Mal, wenn der oder die Deutsche gewann, ohne zu erkennen, was er oder sie besser gemacht hatte als der Gegner. Das Tempo, mit dem Neuberger und sein Gegner die Bälle hin-und herschlugen, kam ihm wie die Zeitlupe der Ballwechsel im Fernsehen vor.
Er grübelte, was die Motivation von Männern sein mochte, bei diesen Temperaturen kleinen gelben Bällen hinterherzujagen und dabei einen Hitzschlag zu riskieren – auch wenn die Sonne nun begann, sich hinter die hohen Bäume zurückzuziehen, und deren Schatten langsam über die Plätze krochen.
Die Stimmen der Männer am Nachbartisch wurden lauter, ihre Wortwechsel erregter. Die Herren redeten mehr gegeneinander als miteinander, oft sprachen sie gleichzeitig, man war sich offensichtlich in wesentlichen Punkten nicht einig. Marder lauschte ein wenig, das war anregender, als den einseitigen Kampf von Christian Neuberger gegen seinen behäbigen Gegner zu beobachten. Er blickte diskret in die Richtung der Männer am Nebentisch.
Da die Herren den Nachmittag an einem Wochentag hier im Verein verbrachten, mussten sie wohl, wie er, im Ruhestand sein. Marder stellte sich vor, womit jeder Einzelne von ihnen früher sein Geld verdient haben konnte:
Der erste war vielleicht ein Abteilungsleiter in einem Industrieunternehmen gewesen, der zweite der Chef der lokalen Feuerwehr, der dritte der Inhaber eines Bekleidungsgeschäftes, der vierte ein Rechtsanwalt, der fünfte ein Apotheker und der letzte ein Chemielehrer am örtlichen Gymnasium.
In der Diskussion ging es um die Mannschaft, um sportliche Ziele sowie um einzelne Spieler und deren Fähigkeiten.
»In unserem Alter ist Gewinnen nicht das Entscheidende. Es reicht mir, mich an der frischen Luft zu bewegen.«
»In unserem Alter werden wir nur noch älter, aber nicht mehr besser.«
»Wir spielen nicht umsonst in der Verbandsliga, jeder trägt seinen Verband an einer anderen Stelle.«
»Das Wichtigste ist, dass wir aufsteigen, alles andere muss sich dem unterordnen.«
»Aufsteigen ist das Unwichtigste überhaupt, wir wollen nur schön spielen und Freude am Sport haben.«
»Meine Frau ist ziemlich sauer, wenn ich wegen einem Punktspiel fast den ganzen Sonnabend oder Sonntag weg bin.«
»Während der Punktspiele hat die Mannschaft absoluten Vorrang, da darfst du dir an diesen Tagen eben nichts anderes vornehmen.«
»Beim Doppel sollte man sich gegenseitig keine Vorwürfe machen, sonst wird man immer nervöser, und zum Schluss klappt überhaupt nichts mehr.«
»Du stehst immer nur am Netz herum und wartest, dass die Bälle zu dir kommen, statt dich ein bisschen mehr zu bewegen.«
»Du denkst wohl, du bist eine Gazelle, oder wie das Tier mit dem Rüssel heißt.«
Es schien, als steckte die Mannschaft mitten in der Saison in einer Krise. Sechs Männer, sechs Meinungen. Die Situation war trotzdem nicht so hoffnungslos, wie man es hätte vermuten können. Viele Bemerkungen wurden ignoriert, andere weggelacht. Die Wortschlacht gehörte wohl zur Mannschaftshygiene, ein bisschen Streit war das Salz der Saison für die Seniorentruppe.
Neuberger packte auf dem Spielfeld seine Tennissachen zusammen – das Spiel war zu Ende. Dem Gegner hatten die Hitze und das überlegene Spiel von Neuberger so zugesetzt, dass er am Ende kaum noch Widerstand geleistet hatte. Neuberger schüttelte ihm die Hand über dem Netz, beide Männer fegten die Spuren ihres Spieles mit Schleppnetzen vom Sandboden und kamen anschließend zum Klubhaus.
Marder ging auf Neuberger zu und sprach ihn an.
»Entschuldigung, mein Name ist Manfred Marder, ich würde gern mit Ihnen sprechen.«
Neuberger blickte ihn verdutzt an, schien
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