Ueber Den Deister
gesund zu ernähren. Zum Frühstück servierte sie ihm Vollwertmüsli. Es schmecke ihm vorzüglich, versicherte er ihr, während er an Rührei und knusprige Brötchen mit Butter oder an Croissants mit Lachs dachte. Wenn er vormittags in der Stadt etwas zu erledigen hatte, was zum Glück an den meisten Tagen der Fall war, genehmigte er sich meistens in einer Bäckerei als zweites Frühstück eine Tasse Kaffee mit einem Stück Mohnstrudel oder einem Schweinsohr aus Blätterteig.
Der geregelte Rhythmus der Mahlzeiten sowie die kleinen Zwischenmahlzeiten hatten ihre Folgen. Marders Gewicht war aufwärts gekrochen. Zuerst waren es nur Gramm, dann Pfunde, schließlich Kilos. Am Anfang konnte er einen Teil der zusätzlichen Fülle wegschummeln, indem er seinen Schwerpunkt auf der Badezimmerwaage nach hinten und links verlagerte. Aber ab einem bestimmten Punkt ließ ihn die Anzeige unerbittlich wissen, dass sein Gewicht beharrlich zunahm, egal, wie er sich auf der Waage verbog. Von da an ignorierte er das Messgerät und schaute es verächtlich an, ohne darauf zu steigen.
Aber nicht immer konnte er sein schlechtes Gewissen unterdrücken. Es appellierte mindestens einmal in der Woche an ihn, auf die eine oder andere Mahlzeit zu verzichten. Heute war kein schlechter Tag, diese Aufforderung zu befolgen. Die unbarmherzige Hitze machte Essen ohnehin eher zur Last als zum Vergnügen. Er legte sich in Mariannes Garten unter einen Baum, um in aller Ruhe über Veras Verschwinden nachzudenken. Es war still. Die Vögel hatten in der Mittagshitze ihr Singen eingestellt, die Geräusche des Straßenverkehrs drangen nicht bis hinter das Haus, und der Liegestuhl passte sich der Kontur seines Rückens behutsam an. Marder versuchte, seine Gedanken auf Vera Matuschek zu konzentrieren, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die Unterhaltung mit Bertram hatte ihm mehr zugesetzt, als es einem alten, routinierten Kriminalbeamten passieren sollte. Er fühlte sich erschöpft und müde. Er ließ sich sinken und war sofort eingeschlafen.
Als er aufwachte, war es so heiß und still wie zuvor. Die Sonne stand hoch am Himmel, also konnte er nur Minuten weggedöst gewesen sein. Körper und Geist hatten sich dennoch erholt, und sein Verstand war wieder willig, ihm zu dienen. Powerschlaf, dachte er, gibt es also doch.
Marder stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und zog seinen Laptop unter dem Bett hervor, wo er seit seiner Ankunft in Barsinghausen geschlummert hatte. Der handliche Computer war ein Weihnachtsgeschenk seiner Kinder. Als sie ihm das Gerät überreichten, äußerten sie vorsichtig Zweifel, ob er in seinem Alter noch lernen könne, dieses Wunderding zu beherrschen, und boten sich an, ihm jederzeit, wenn er die Kontrolle darüber verliere, zu Hilfe zu kommen: Anruf genügt. Das war Grund genug für ihn, sich intensiv mit dem Laptop und dessen Tücken zu befassen. Er wollte seiner Brut zeigen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehörte. Nicht, dass er vorher etwas gegen PCs im Speziellen oder moderne Technik im Allgemeinen gehabt hätte – im Büro hatte sogar ein Computer auf seinem Schreibtisch gestanden. Wenn er damit in eine Sackgasse geraten war, weil der nicht so wollte wie er – was regelmäßig vorkam –, hatte er einen jüngeren Mitarbeiter bitten können, ihm zu helfen. Seine Kollegen taten das gern, mit der großzügigen Nachsicht der Jüngeren der auslaufenden Generation gegenüber. Diese Zeiten waren leider vorbei, jetzt war er auf seine eigenen Fähigkeiten angewiesen, Iris verstand von Computer noch weniger als er. Abgesehen von den gelegentlichen Notrufen bei seinen Kindern, fühlte er sich jedoch durchaus als Herr über die Maschine.
Er hatte gelernt, im Internet zu surfen, E-Mails zu schicken und nach Informationen zu googeln, nach denen er früher umständlich im Lexikon geblättert hatte. Vor allem Schreiben war verblüffend problemlos geworden. Er konnte Texte verfassen, verbessern, löschen, speichern und sie jederzeit wieder auf den Bildschirm holen. Da das alles so bequem war, hatte er Muße, sich auf das Wesentliche beim Schreiben zu konzentrieren: den Inhalt. Er war fest überzeugt, dass sich dadurch die Qualität seines Schreibens verbessert hatte. Irgendwann würde er sich einen Kriminalroman ausdenken und dabei auf Fälle und Erfahrungen aus seinem Berufsleben zurückgreifen. Natürlich würde er alle Namen von Menschen und Orten ändern, nur wenn eine Katze darin vorkam, würde er sie Tatze nennen.
Er
Weitere Kostenlose Bücher