Ueber Den Deister
schaltete den Laptop an, ein grünes kleines Licht blinkte optimistisch, das Gerät piepste zum Dienstantritt. Marder begann, auf den Tasten zu spielen. Er eröffnete mehrere neue Dateien, eine für jedes Gespräch, das er bisher geführt hatte, und gab ihnen die Namen seiner Gesprächspartner. Seine Erinnerung rief ihm einzelne Sätze zu, er musste sich jeweils entscheiden, welcher Person sie zuzuordnen waren, bevor er sie eintippte. Marder gab seinen elektronischen Notizen eine Ordnung, indem er Aussagen und Kommentare in eine sinnvolle Reihenfolge brachte. Als sich seine Erinnerung erschöpft hatte, beschloss er, die Dateien auszudrucken. Er wollte sie jederzeit zur Hand haben, falls ihm zusätzliche Gedanken kamen. Er gab den Befehl: Drucken. Nichts geschah. Nur ein kleines Fenster öffnete sich auf dem Bildschirm mit dem freundlichen Hinweis: Kein Drucker angeschlossen. Logisch, der stand zu Hause auf seinem Schreibtisch.
Marder holte die neuen Dateien nacheinander auf den Bildschirm und las sie aufmerksam durch: Anja, Brenner, Neuberger, Bertram. Er suchte nach etwas in ihnen, das ihm einen Anhaltspunkt gab, wie oder wo er seine Suche nach Vera Matuschek beginnen konnte. Als er mit dem Lesen fertig war, hatte er nichts gefunden. Trotzdem war er überzeugt, dass sich zwischen den Zeilen ein Hinweis versteckte, der ihm helfen würde. Er begann von neuem, las die Dateien in einer anderen Reihenfolge: Bertram, Brenner, Neuberger, Anja. Wieder nichts, aber das Gefühl, auf einer Spur zu sein, hatte ihn nicht verlassen, es hatte sich sogar verstärkt. Er las alles zum dritten Mal: Neuberger, Bertram, Anja, Brenner. Danach wusste er, dass er seinem Ziel nähergekommen war. Er hatte sich nicht geirrt, es gab in den Dateien etwas, das sie verband.
Es leuchtete ihm ein, warum es so schwierig gewesen war, dieses Gemeinsame zu finden. Es waren nicht einzelne Aussagen, die ihm weiterhalfen; erst wenn er verschiedene Hinweise aneinanderreihte, ergaben sie den Anhaltspunkt, den er suchte. Es war wie ein Puzzle, das Bild war erst zu erkennen, wenn man die Teile auf die richtige Stelle legte.
Er schloss seine Augen für einige Sekunden, zwang sich, an nichts anderes zu denken, um alles wegzuspülen, was seine Konzentration ablenken konnte:
Brenner hatte gesagt, dass Volkert versuchte, seine Rückkehr zu seiner eigenen Dienststelle hinauszuzögern, obwohl er anfangs darüber geklagt hatte, wie wenig es ihm in Barsing-hausen gefiele und wie sehr er sich wünschte, wieder nach Hause zu gehen.
Anja hatte erklärt, dass Vera nach dem Tod ihres Mannes öfter – auf jeden Fall mehr als einmal – Volkert im Büro aufgesucht hatte, obwohl es dort für sie eigentlich nichts mehr zu erledigen gab.
Neuberger hatte erwähnt, dass er Vera in einem Auto zwischen Hameln und Bodenwerder gesehen hatte.
Bertram hatte gesagt, dass sich seine Mutter an der Weser sonnte, während sie mit ihm telefonierte.
Er selbst hatte einen Stadtplan im Arbeitszimmer von Vera Matuschek gesehen.
Als Marder den Hinweis auf Volkerts Sehnsucht nach seinem Zuhause zum dritten Mal gelesen hatte, war ihm eingefallen, um welche Stadt es sich dabei handelte. Er erinnerte sich daran, dass Volkert ihm einmal gesagt hatte, er würde gern so schnell wie möglich nach Holzminden im Süden des Weserberglandes zurückkehren, weil dort häufiger die Sonne schiene als am Deister. Marder fiel auch ein, dass der Stadtplan, mit dem Anja die Post für ihre Mutter auf deren Schreibtisch beschwerte, der von Holzminden war.
Holzminden liegt an der Weser. Wenn man von Barsing-hausen dorthin will, fährt man über Hameln und Bodenwerder an der Weser entlang. Wer sich in Holzminden nicht auskennt, braucht einen Stadtplan, zumindest während seiner ersten Besuche. Später kann man ihn zu Hause lassen.
Marder sah nun ein Bild, das sich zusammensetzen ließ: Volkert und Vera hatten sich während Volkerts Zeit in Barsing-hausen kennengelernt, hatten Freundschaft geschlossen, vermutlich waren sie ein Liebespaar geworden. Vera hatte nicht verheimlicht, dass sie nach Alfreds Tod keine Trauer empfand, und fühlte nicht, dass sie ihm über den Tod hinaus Liebe und Treue schuldete – vielleicht hatte sie es vor seinem Tod schon nicht getan. Darum hatte es am Ende Volkert nicht mehr so eilig, Barsinghausen zu verlassen. Als er doch zurück nach Holzminden musste, hat Vera ihn dort ab und zu besucht. Das waren ihre rätselhaften Abwesenheiten. Der Weg nach Holzminden war in weniger als
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