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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Schießerei.» Er hielt inne.
    «Wenn Sie jetzt über Murano hinwegblicken, sehen Sie Venedig. Das ist meine Stadt. Ich könnte Ihnen noch eine Menge anderer Dinge zeigen, aber ich glaube, wir sollten wohl lieber jetzt weiterfahren. Aber werfen Sie noch einen Blick darauf. Hier ist die Stelle, von der man sehen kann, wie alles gekommen ist. Aber niemand sieht sich’s je von hier aus an.»
    «Es ist eine wunderschöne Aussicht. Danke, Sir.»
    «Okay», sagte der Colonel. «Dann wollen wir mal weiterfahren.»

5
    Aber er kam von dem Anblick nicht los, und es erschien ihm alles so wunderbar und rührte ihn so wie damals, als er achtzehn Jahre alt war und es zum erstenmal gesehen hatte und nichts davon verstand und nur wußte, daß es schön war. In jenem Jahr war der Winter sehr kalt gewesen, und alle Berge jenseits der Ebene waren weiß. Die Österreicher mußten versuchen, in dem Winkel, in dem die Sile und das alte Bett der Piave die einzige Verteidigungslinie waren, durchzubrechen.
    Wenn man das alte Bett der Piave hatte, konnte man, wenn die erste Stellung nicht hielt, auf die Sile zurückfallen. Jenseits der Sile war nichts als arschnacktes Flachland und ein gutes Straßennetz in die venezianische Ebene und die Ebenen der Lombardei, und die Österreicher griffen Ende des Winters wieder und wieder und wieder an, um zu versuchen, auf diese gute Chaussee zu kommen, auf der sie jetzt entlangrollten und die direkt nach Venedig führte. In jenem Winter hatte der Colonel, der damals ein Lieutenant war und in einer fremden Armee Dienst tat, was ihn später immer in seiner eigenen Armee leicht verdächtig erscheinen ließ und seiner Karriere gar nicht förderlich gewesen war, den ganzen Winter über Halsschmerzen gehabt. Diese Halsschmerzen kamen von dem ständigen Im-Wasser-Sein. Man konnte nicht trocken werden, und es war noch am besten, schnell naß zu werden und naß zu bleiben.
    Die Angriffe der Österreicher waren schlecht koordiniert; sie waren aber pausenlos und erbittert, und zuerst kam das schwere Geschützfeuer, das einen außer Gefecht setzen sollte, und dann, wenn es erhöht wurde, prüfte man die Stellungen und zählte seine Leute. Aber man hatte keine Zeit, sich um die Verwundeten zu kümmern, da man wußte, daß der Angriff sofort erfolgen würde, und dann erschoß man die Männer, die durch den Morast gewatet kamen und ihre Gewehre über Wasser hielten und so langsam herankamen wie eben Männer, die bis zum Bauch im Wasser waten.
    Wenn sie das Artilleriefeuer nicht erhöht hätten, wenn es losging, hatte der Colonel, damals ein Lieutenant, oft gedacht, weiß ich nicht, was wir hätten tun können. Aber sie erhöhten es immer und legten es vor die Spitze des Angriffs.
    Wenn wir die alte Piave verloren hatten und an der Sile standen, verlegten sie es bis zur zweiten und dritten Stellung, obschon solche Stellungen ganz unhaltbar waren. Sie hätten ihre Geschütze alle ganz dicht heranbringen und die ganze Zeit, während des Angriffs, in uns hineinbummern müssen, bis sie eine Bresche geschlagen hätten. Aber gottlob führte immer ein alter Trottel in hoher Stellung den Befehl, dachte der Colonel, und so blieb es immer Stückwerk.
    Den ganzen Winter über – mit scheußlichen Halsschmerzen – hatte er Männer getötet, die mit schweren Kalbfelltornistern und Pickelhauben herankamen und ihre Stielhandgranaten am Lederzeug unter den Schultern angehakt trugen. Sie waren der Feind.
    Aber er spürte keinen Haß gegen sie, konnte auch sonst kein Gefühl für sie aufbringen. Mit einer alten, in Terpentin getauchten Socke um den Hals gab er seine Befehle, und sie schlugen die Angriffe mit Gewehrfeuer ab und mit den Maschinengewehren, die nach der Beschießung noch vorhanden oder brauchbar waren. Er brachte seinen Leuten das Schießen bei, richtiges Schießen, etwas, was man selten bei kontinentalen Truppen findet, und lehrte sie, den herankommenden Feind zu beobachten, und weil es immer einen toten Augenblick gibt, in dem man ungestraft schießen kann, wurden sie wahre Meister darin.
    Aber nach der Beschießung mußte man immer zählen und schnell zählen, um zu wissen, wie viele Schützen man haben würde. In jenem Winter war er dreimal verwundet worden, aber es waren alles Verwundungen, wie man sie sich wünschte, kleine Fleischwunden ohne Knochenverletzungen, und er war von seiner eigenen Unsterblichkeit ganz überzeugt, da er wußte, daß ihn eigentlich das schwere Artilleriefeuer, das jedem Angriff vorausging,

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