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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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ich.«
    Vermutlich hat der das Foto gemacht. Ich merke, dass mir die Tränen kommen. Irgendetwas an dem Foto hat mich berührt. Vielleicht die funkelnden, gierigen Augen, die unbedingt etwas erleben wollten. Und nun haben sie schon fast alles hinter sich. Ich hoffe, darunter war so viel Schönes, wie sie es sich damals erträumt haben mögen. Unglaublich, dass es eines von diesen Gesichtern schon gar nicht mehr gibt. Ein Mann und drei Frauen, vier Freunde – vielleicht erinnert mich das Bild auch nur an Juli, Tanja, Toni, Peter und mich. Vielleicht werden wir auch irgendwann als Bewohner einer schrulligen Alten-WG die Jugend belustigen. Wenn wir dann noch alle leben, denke ich betrübt.
    »Hey, nur keine Schwermut. Das ist das Vorrecht von uns Alten.« Moira stößt mir unsanft in die Rippen und füllt mein Glas wieder auf.
    O Gott, mir wird richtig schlecht. Bitte nicht jetzt. Das letzte Mal muss es auf irgendeiner wilden Party vor gefühlten hunderttausend Jahren gewesen sein, dass ich mich nach zu viel Alkoholgenuss übergeben habe. Man sollte eben nie die Trinkfestigkeit der Alten unterschätzen. Ich brauche frische Luft. So aufrecht wie möglich, versuche ich ins Freie zu gelangen und torkele vor die Tür. Draußen schneit es schon wieder. Es muss mir nur gelingen, gerade zu stehen, dann ist mir sicher auch nicht mehr so übel. Aber es erfordert so
viel Kraft und Konzentration. Ach, ich lasse mich einfach in den Suff und den Wirbel um mich herum fallen. Wahrscheinlich träume ich das alles sowieso nur. Die verrückte Gesellschaft da drin ist gar nicht echt – und da kommt auch kein Mann mit wehendem Mantel auf mich zu. Hui, für eine Fata Morgana bewegt er sich aber sehr schnell. Sein Kragen ist hochgeschlagen, deswegen erkenne ich sein Gesicht nicht. Moment mal! An irgendetwas erinnert mich die Szene. Ah, ich weiß! Wenn in einem Film ein geheimnisvoller Fremder auf die Heldin zueilt, ist es meist sofort um sie geschehen, oder nicht? Und ich bin – abgesehen von der Übelkeit – doch in so mystisch-romantischer Stimmung. Und das hier ist schließlich nicht das richtige Leben. Direkt vor meiner Nase bleibt der Held, der gar nicht existiert, stehen. Ui, für ein Hirngespinst ist er nicht nur sehr schnell, sondern auch ziemlich attraktiv. Seine Augen sind sehr blau. Richtig tiefblau. Blau wie karibisches Meer. Hicks! Ich stehe sonst eher auf dunkle Augen, aber in Träumen ist doch alles erlaubt! Schließlich passiert ja nicht wirklich etwas und – das Beste am Ganzen: Nichts von dem, was man tut oder sagt, hat ernsthafte Konsequenzen. In Träumen hatten wir doch alle schon mal heiße Begegnungen mit dem schrulligen Nachbarn, dem Ekeltypen aus dem Büro nebenan oder sonstigen ganz und gar indiskutablen Typen, denen wir im Alltag konsequent aus dem Weg gehen würden, oder? Ich blicke zum Türrahmen hinter mir. Das Einzige, was dort nun fehlt und dringend in einen angelsächsischen Kitschfilm gehört ist ...
    »Da hängt aber gar kein Mistelzweig.«
    Ich sehe den Mann leicht verschwommen und kann deshalb nicht sagen, ob er amüsiert, irritiert oder verärgert ist.
Und – Huch! – schon sehe ich nur noch den Schnee unter mir, ich muss mich nämlich vorbeugen und übergeben.
    »Was machst du denn hier?«, fragt er.
    Ist der blind oder blöd oder was?!
    »Ich übergebe mich«, würge ich hervor.
    »Nein, ich meine nicht, was du jetzt gerade tust, sondern, wer bist du überhaupt?«
    Ich weiß nicht! Zu kompliziert! Ich bekomme jetzt keinen klaren Satz heraus. Zumindest keinen langen. Wenn ich mich ganz stark konzentriere, könnte eine knappe Erklärung drin sein.
    »Die Tochter des Leibarztes.« Ha! Wenn das kein formvollendetes Regency-Englisch war.
    Ich höre ein Räuspern, das fast ein Lachen sein könnte.
    »Ach so. Geht’s wieder? Dann können wir ja reingehen.«
    Er schippt etwas Schnee über mein Malheur.
    »Na los. Komm. Hat ja keiner gesehen.«
    Als wir gemeinsam den Saal betreten, werden wir mit großem Hallo begrüßt. Zu blöd: Der geheimnisvolle Fremde ist nicht nur der Sohn von Sir Henrys und Moiras verstorbener Schwester und seither der Ziehsohn dieser alten Herrschaften vor mir, sondern auch total real. Er hat sogar einen Namen: Colin.
    Eine Weile halte ich zusammengerollt auf dem Sofa durch, obwohl sich das Zimmer weiter unangenehm dreht. Aber dann wird mir schon wieder übel.
    »Papa, können wir bitte, sofort, auf der Stelle gehen? Mir ist nicht so gut.«
    Besorgt betrachtet mich mein Vater,

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