Ueber den Himmel hinaus - Roman
binnen kürzester Zeit herausgefunden, wie sie mit ihm umgehen musste.
Sofi kam sich unzulänglich vor. In all den Jahren hatte sie ihn tunlichst in Ruhe gelassen, wenn er mit der Arbeit nicht weitergekommen war. Sie war ihm ehrfürchtig aus dem Weg gegangen, aus Angst, ihn in seiner Kreativität zu
stören. Sofi fragte sich unwillkürlich, ob sie noch mehr falsch machte, was Julien anging. Vielleicht sollte sie ihm von dem Wunsch nach einem zweiten Kind erzählen, der sich im hintersten Winkel ihres Herzens zu regen begonnen hatte. Allerdings hatte sie sich diese Sehnsucht selbst noch gar nicht richtig eingestanden. Was, wenn sie Nikita damit das Gefühl vermittelte, dass er minderwertig war? Und was, wenn das Unglück auch über ihr zweites Kind hereinbrach?
Ihre Gedankengänge wurden unterbrochen, als sie Mama auf Russisch »Nein, du kannst nicht mit ihr reden!« ins Telefon zischen hörte.
Sie fuhr herum. Stasja war gerade im Begriff, aufzulegen, doch sie riss ihr den Hörer aus der Hand und bedeckte die Sprechmuschel. »Wer ist dran?«
»Dein Onkel Viktor«, sagte Stasja mit bebender Stimme.
»Was will der denn?«, fragte Sofi perplex. Verärgert.
»Leg einfach auf.«
Sofi wedelte abwehrend mit der Hand und hielt sich den Hörer ans Ohr. »Woher hast du meine Nummer?«
»Von Natalja.«
Natürlich. Natalja war sauer. Seit der Affäre um die Werbekampagne herrschte zwischen ihnen Funkstille.
»Verstehe. Und was willst du?«
»Ich will Geld, damit ich Lena in Ruhe lasse.«
»Vergiss es, Onkel Viktor. Ich lasse mich nicht erpressen.«
Das hatte er wohl nicht erwartet. Sofi fragte sich, wie oft er dieses Spiel mit Natalja getrieben hatte.
»Das wirst du bereuen. Ich rufe Lena an. Ich werde sie besuchen.«
»Das wirst du nicht tun. Du willst sie ja gar nicht wirklich
sehen. Wir haben dir alle nicht mehr das Geringste zu bieten. Ich bin sicher, du wirst uns künftig in Ruhe lassen. Lebwohl.«
Sie legte auf, wartete ab. Das Telefon schwieg.
Mama funkelte sie an. »Du hättest gar nicht mit ihm reden sollen.«
»Sei unbesorgt, Mama. Ich glaube nicht, dass wir je wieder von ihm hören werden.«
Es war lange her, dass Natalja zum Essen ausgeführt worden war, und sie fand viel zu großen Gefallen daran. Sie saß im Browns , einem Restaurant in Covent Garden, trank Wein und stocherte in ihren Ravioli - die Vorspeisenportion -, während ihr der Mann, dem sie gegenübersaß, versicherte, was für eine tolle Frau sie doch sei. Leider war er nicht ihr Freund, sondern ein Filmregisseur.
Arnold Grassman war über vierzig, hatte Geld wie Heu und wollte einen Horror-Science-Fiction-Film mit dem Titel Skin Crawlers drehen - mit Natalja in der Hauptrolle.
»Ihre Schönheit macht Sie zur idealen Kandidatin«, sagte er gerade. »Sie wirken so majestätisch, so elegant. Und diese widerlichen Kreaturen sind total ekelhaft und glitschig.« Das letzte Wort sprach er derart leidenschaftlich aus, dass ein paar Speicheltröpfchen auf dem Tisch landeten. »Ich bin noch weitgehend unbekannt im Filmbusiness, Natalie, aber ich werde mich nicht lumpen lassen. Sie sind absolut perfekt für diese Rolle, und deshalb bin ich bereit, Ihnen eine erhebliche Gage zu bezahlen.«
Natalja hatte so ihre Zweifel. Sie würde fast die gesamte zweite Hälfte des Films in Unterwäsche herumlaufen und mit einer Schrotflinte Aliens abknallen, um am Ende von einem überdimensionalen Tentakel ausgenommen zu werden.
Grassman hatte bereits zwei Filme produziert, die lediglich auf Video herausgekommen waren. Doch in dieser Branche konnte man nie wissen, wer den nächsten großen Hit landete, wer der nächste Publikumsliebling wurde. Leida hatte sich strikt dagegen ausgesprochen. »Grassman ist total unglaubwürdig. Reden Sie lieber mit Lewitski, der hat gerade den Un-Certain-Regard-Preis in Cannes gewonnen, und er will Sie nach wie vor engagieren.«
Aber Maxim Lewitski hatte kein Geld und arbeitete in Sankt Petersburg. Arnold Grassman dagegen war Milliardär und drehte hier in London. Also hatte Natalja ohne Leidas Wissen ein Treffen mit ihm vereinbart.
Sie versuchte, nicht zu interessiert zu wirken, als er das Thema Geld anschnitt. »Nun, Arnold, wenn Ihr Angebot wirklich so großzügig ist, lassen Sie mir doch einen Vertragsentwurf zukommen, damit ich Ihnen bald fest zusagen kann.«
Er dankte ihr wortreich und versprach, ihr Vertrag werde mit kleinen Extras gespickt sein. Natalja ließ den Blick über ihn gleiten und konnte nicht fassen,
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