Ueber den Himmel hinaus - Roman
Zwillinge, in der Küche ein neuer Herd, die Bodenfliesen geputzt, ein Tisch, an dem die Kinder Hausaufgaben machen konnten, während sie kochte …
Sie schloss die Hintertür auf, trat aus der Küche in den Garten und blieb wie angewurzelt stehen. Grüne Felder, von uralten Hecken begrenzt, ein alter Schuppen, ebenfalls mit Steinmauern - gehörte der auch ihr? In der Ferne schlenderten Kühe über die Hügel. Sie stand eine Ewigkeit da und genoss den Ausblick und das Gefühl, dass ein kleines Stück dieser Welt ihr gehörte, für immer.
Sie würden nie das nötige Kapital aufbringen, um das Haus so weit auf Vordermann zu bringen, dass man darin leben konnte, das war ihr klar. Selbst wenn sie bei einer Bank einen Kredit aufnehmen könnten, was sie stark bezweifelte, müssten sie sich vor Ort Arbeit suchen und bis an ihr Lebensende die Schulden abzahlen. Sam war in solchen Dingen hoffnungslos; er war ja schon damit überfordert, die Miete für ihre Wohnung zusammenzukratzen. Eine Hypothek würde ihr sicheres Ende bedeuten.
Sollte sie das Anwesen also verkaufen? Doch sie wusste nur zu gut, was geschähe, wenn Sam plötzlich Zugriff auf eine beträchtliche Summe Geld bekäme: Er würde alles ausgeben, für ein brandneues Auto oder sonst irgendeine sinnlose Anschaffung. Er würde eine große Wohnung mieten und »sich etwas gönnen«, weil er das Gefühl hatte, dass ihm das bislang verwehrt geblieben war. Womöglich würde er sogar seinen Job an den Nagel hängen und wieder an seiner Musikkarriere basteln wollen. In ein paar Jahren wäre alles aufgebraucht, und dann stünden sie wieder ganz am Anfang. Genau deshalb hatte sie heute früh den Brief vor
ihm versteckt. Eine Frau mit einer stärkeren Persönlichkeit hätte vielleicht besser mit Sam umgehen können, aber wie sollte sie ihm klarmachen, dass das Geld ihr gehörte, dass er es nicht anrühren durfte, obwohl es doch von seinem Großvater stammte?
Es gab natürlich noch eine dritte Möglichkeit. Sie hatten Kinder. Sie würde einfach niemandem von dem Haus erzählen. Mit der Zeit würde es im Wert steigen, und wenn Matthew und Anna erwachsen waren und gut bezahlte Jobs hatten, konnten sie es renovieren und darin leben oder es abreißen lassen und das Grundstück verkaufen. Die Entscheidung läge bei ihnen. Sie gestattete sich eine kurze Fantasie, in der Anna selbst Kinder hatte und mit ihnen hier wohnte … Sie würde es besser haben als Lena. Ein sorgenfreies Leben führen können.
Lena lächelte mit Tränen in den Augen, blinzelte. Ihr Entschluss stand fest.
KAPITEL 39
Sofi spazierte mit Nikita an der Hand zum Briefkasten. Der Kleine musste beschäftigt werden, wenn man mit ihm unterwegs war, nicht nur im Auto, sondern auch zu Fuß, sonst begann er, mit leeren Augen vor sich hin zu starren. Also hatte sie ihm aufgetragen, nach runden Dingen Ausschau zu halten. Seine Beobachtungsgabe war außergewöhnlich stark ausgeprägt. Überall erspähte er Kreise - angefangen von Autoaufklebern bis hin zu den aufwendig gestalteten Dachsimsen einiger Häuser. Sie warf den Brief an Lena ein. Ihre Cousine hatte angerufen und ihr unter dem
Siegel der Verschwiegenheit erzählt, sie hätte ein baufälliges altes Farmhaus geerbt, das sie eines Tages an die Kinder vererben wollte. Sofi hatte angeboten, für die Notariatskosten und die Dachreparatur aufzukommen, worauf Lena stotternd davon gesprochen hatte, es ihr zurückzuzahlen.
»Betrachte es als Geschenk«, hatte Sofi gesagt. »Nicht für dich, sondern für Anna und Matthew.«
Erst da hatte Lena angenommen und sich atemlos bedankt.
Zu Hause traf sie Julien in der Küche an. Das bedeutete, dass er einen schlechten Tag gehabt hatte. Mama tat ihm gut; sie sorgte dafür, dass er sich von künstlerischen Misserfolgen nicht beirren ließ. Die beiden unterhielten sich lachend, während auf dem Herd Knoblauch in Butter vor sich hin brutzelte. Aus den Lautsprechern der Stereoanlage drang die Stimme von Ella Fitzgerald. Zu viel Trubel für Nikita. Sofi brachte ihn in sein Zimmer und legte ein Baby-Einstein-Video für ihn ein - er sah sich noch immer Videos für Kleinkinder an -, dann gesellte sie sich zu ihrem Mann in die Küche.
Julien schob ihr einen Löffel Basilikum-Sahne-Sauce in den Mund und küsste ihr eine Spur davon vom Kinn. Das Telefon klingelte.
»Ich gehe schon«, sagte Stasja.
Sofi nippte an ihrem Wein. »Na, Schaffenskrise?«
»Und was für eine.« Julien lachte. »Ich danke Gott für deine Mutter.« Mama hatte
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