Ueber den Himmel hinaus - Roman
bewusst, dass sie klang wie ein störrisches Kind.
»Ich war jetzt zwei volle Jahre zu Hause. Es wird wieder Zeit für mich. Bitte verlang nicht von mir, dass ich hier bleibe.«
Was hatte sie noch für eine Wahl? »Also gut, meinetwegen. Aber ehe du fährst …«
»Ja?« Er legte den Kopf schief.
»Ehe du fährst …« Wollte sie ihren Herzenswunsch wirklich aussprechen? War es überhaupt ihr Herzenswunsch? »Ich möchte noch ein Kind. Können wir zumindest darüber reden?«
Sofis Hoffnung schwand, als er entsetzt die Augen aufriss.
»O nein, Sofi. Nicht noch eines.«
Seine Ablehnung ließ sie die Sehnsucht umso heftiger spüren. »Warum nicht?«
Er sank in sich zusammen. »Weil ich es nicht ertragen könnte, wenn wieder etwas nicht in Ordnung wäre.«
»Das muss nicht unbedingt …«
»Wir haben einige Familien kennengelernt, in denen mehr als ein Kind betroffen war.« Wie üblich brachte Julien das Wort autistisch nicht über die Lippen.
Sofi seufzte. »Und wenn ich darauf bestehe?«
Er starrte sie einen Augenblick an, dann sagte er sanft: »Tu das nicht, Sofi. Wir führen ein angenehmes Leben, eine gute Ehe; wir haben beide Karriere gemacht. Du siehst nur, was fehlt, und vergisst, dankbar für das zu sein, was wir haben.« Er nahm ihre Hand und legte sie sich auf die Brust. »Es würde mir das Herz brechen, wenn wir noch ein Kind bekommen, das so ist wie Nikita.«
Am Abend nach Juliens Abreise legte sich Sofi neben Stasja auf das Sofa und weinte. Mama tröstete sie, streichelte ihr mit ihren kühlen Händen die heißen Wangen. Nicht nur ihr Herz fühlte sich leer an, sondern vor allem ihr Leib. Julien hatte hartnäckig auf seiner Meinung beharrt. Sie würden kein zweites Kind bekommen.
Nach einer Weile hob Sofi den Kopf und erzählte Mama von ihrer abergläubischen Überzeugung, sie habe sich ihr Unglück selbst zuzuschreiben.
»Unsinn, Kind«, erwiderte Stasja. »Was hast du schon groß angestellt?«
Und so gestand ihr Sofi die ganze Geschichte - den Betrug an Roy Creedy, den Diebstahl -, wohl wissend, dass Mama enttäuscht und erzürnt sein würde. Doch sie musste sich endlich alles von der Seele reden. Ihre Mutter hörte auf, sie zu streicheln, ließ die Hände sinken.
»Mama? Verabscheust du mich jetzt?«
Stasja schüttelte den Kopf. »Du bist mein Kind. Dich verabscheue ich nicht, aber deine Tat schon.«
»Ich habe Lena und Natalja vorgeschlagen, ihm zu schreiben, ihm sein Geld zurückzuzahlen. Aber Natalja war strikt dagegen. Sie hält ihn für gefährlich.« Sie ergriff Stasjas Hand. »Kannst du mir verzeihen, Mama? Wenn du mir verzeihen könntest, wäre mir schon ein bisschen leichter
ums Herz. Dann hätte ich vielleicht nicht mehr das Gefühl, eine Tat begangen zu haben, für die ich ewig büßen muss.«
»Natürlich kann ich dir verzeihen.« Stasja lächelte verkniffen. »Der Zorn einer Mutter ist wie Schnee im Frühling - er schmilzt rasch, ganz egal, wie viel davon fällt. Außerdem ist es schon lange her.«
»Zehn Jahre. Inzwischen hat sich viel getan.«
»Sofi, du darfst nicht auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicken und nur Unglück sehen.«
»Ich weiß. Ich weiß.«
»Der ist ein rechter Narr, der nur Staub sieht, wenn er die Hand voller Goldkörner hat.«
Sofi ließ sich die Worte ihrer Mutter durch den Kopf gehen. Sie musste an ihre Cousinen denken. Lena mit ihren zwei kerngesunden Kindern; Natalja, schön und vermögend, und doch beneideten sie einander alle drei um das, was die anderen hatten. Mit einem Mal kam es ihr lächerlich, ja, unangebracht vor, von Unglück zu sprechen.
»Danke, Mama«, sagte sie. »Ich weiß, dass du missbilligst, was ich getan habe, aber ich bin trotzdem froh, dass ich es dir erzählt habe.«
KAPITEL 40
Lena vermisste ihre Schwiegermutter vor allem dann, wenn sie schnell einen Babysitter brauchte. Nicht, dass sie heute auf ihre Dienste hätte zurückgreifen können. Wendy hätte viel zu viele Fragen gestellt: »Wo fährst du hin? Wann kommst du zurück?« Es war Samstag, Sam arbeitete, und
sie hatte spontan einen Dachdecker angerufen, um einen Kostenvoranschlag für ein neues Dach einzuholen, auch wenn es eigentlich sinnlos war, da sie kein Geld hatten. Aber sie musste wissen, wie viel es kosten würde, damit sie die Sache ad acta legen konnte. Also brachte sie Anna und Matthew zu ihrer Nachbarin.
Jillian war alleinerziehende Mutter und ein richtiger Schatz; fröhlich, freundlich, hilfsbereit. Es war ihre Tochter, die
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