Ueber den Himmel hinaus - Roman
nicht kontaktieren würde - er will im Grunde nichts mit ihr zu tun haben. Und ich hatte recht, er hat sie nicht einmal angerufen.«
Dann hatte sich Lena zu ihnen gesellt, und sie hatten das Thema gewechselt. Für Sofi war es eine Zusammenkunft der Geheimnisse gewesen. Lena sollte nichts von Viktors Anruf erfahren, Natalja durfte nichts über Lenas Erbschaft wissen.
Lena und Sofi waren eines Morgens in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und zu dem Häuschen gefahren.
»Dank dir regnet es jetzt nicht mehr herein«, hatte Lena gesagt, während sie das Küchenfenster von Spinnweben befreite. »Sobald ich mich das nächste Mal ungesehen aus dem Staub machen kann, werde ich herkommen und die Haustür streichen oder das Bad auf Vordermann bringen. Einfach so.«
Mit einem Eimer Farbe und einem Putzlappen war in dem kleinen Häuschen zwar nicht viel auszurichten, doch es hatte weit mehr Charme als die sterile kleine Wohnung,
in der Lena jetzt lebte. »Lena«, hatte Sofi gesagt und ihre Hand genommen. »Lass mich dir das Geld leihen, damit ihr es renovieren und hier wohnen könnt.«
»Kommt nicht in Frage. Das wäre wirklich zu viel des Guten. Es muss ja alles ersetzt werden - die Schränke, die Badewanne, die Toilette, der Herd. Der Mauerputz muss weg, und ich fürchte, eine Wand müsste eingerissen und neu aufgezogen werden. Man muss das Dach erneuern, von den elektrischen Leitungen und den Wasserrohren ganz zu schweigen.« Lena hatte sich auf die Innenseite der Wange gebissen. »Ein so großzügiges Angebot kann ich unmöglich annehmen. Wer weiß, ob wir es dir jemals zurückzahlen könnten.«
Sofi hatte geschwiegen, sich jedoch vorgenommen, Lena in den kommenden Jahren so lange zu bearbeiten, bis sie nachgab.
Als sie aus ihrem Tagtraum erwachte, stellte Sofie fest, dass Gabriel vom Besuch bei seiner Mutter im Languedoc sprach. Sie wollte ihm gerade eine Frage dazu stellen, als die Tür aufging und Julien hereinkam. Er eilte auf sie zu und ergriff ihr Handgelenk. »Ich habe tolle Neuigkeiten.«
Sie führte ihn über die ausgetretene Treppe in ihr Büro, schloss die Tür und setzte sich an ihren antiken Schreibtisch. Julien lehnte sich an das Fensterbrett. An der Wand hinter Sofi hingen drei seiner Bilder.
»Nun?«, fragte sie.
»Man hat mich nach Brasilien eingeladen. Für ein Jahr.«
Sofis Lächeln gefror. Das waren seine »tollen Neuigkeiten«? Und sie hatte gehofft, seine Reiselust hätte endlich nachgelassen, nachdem er die vergangenen zwei Jahre zu Hause geblieben war.
»Du sagst ja gar nichts.« Er lachte nervös.
»Ich wusste nicht, dass du dich wieder um ein Stipendium beworben hast.«
»Ich … ich wollte nicht, dass du dich unnötig aufregst. Hätte ja sein können, dass ich abgelehnt werde.«
»Dir war also klar, dass ich mich aufregen würde.«
»Ja, schon. Aber ich hatte gehofft, dass du dich mit mir freuen würdest.« Er ergriff ihre Hände. »Du könntest mitkommen, Sofi. Deine Entwürfe kannst du dort doch auch zeichnen, und alles andere kann Francette übernehmen.«
»Und was ist mit Nikita und seiner Therapie?«
»Deine Mutter kann doch hier bei ihm bleiben.«
Sofi konnte nicht fassen, dass er tatsächlich in Erwägung zog, Nikita für ein ganzes Jahr zu verlassen. Andererseits war das für ihn ja beileibe nichts Neues.
»Es wäre erst ab Juni, uns bleibt also noch genügend Zeit, um eine Entscheidung zu treffen.«
Sofi holte tief Luft. »Ich möchte, dass du hier bleibst.«
»Wie bitte?« Julien starrte sie an, als hätte sie gerade Swahili mit ihm geredet.
»Ich finde, du solltest hier bei deiner Familie bleiben. Bei mir. Ich mag es nicht, wenn du weg bist. Es kommt mir immer so vor, als würdest du uns im Stich lassen. Als könntest du unsere Gegenwart nicht ertragen.«
»Aber nicht doch, Liebling. So ist es nicht.«
»Und Nikita?«
»Ich liebe ihn; ich vergöttere ihn, meinen kleinen Jungen. Aber du weißt, es macht ihm nichts aus, wenn ich weg bin.«
»Wie kannst du uns einfach verlassen, wenn du uns liebst?«
»Wenn ich male, wenn ich weg bin, umgeben von einer Sprache, die ich nicht verstehe, von Menschen, die ich nicht kenne - dann gibt es nichts anderes für mich.« Er klang ernst. »Sofi, ich brauche das, um mich in einen Zustand zu versetzen, in dem die praktischen Dinge des Lebens nicht mehr existieren, in dem es nur noch mich gibt und Farben und Formen. Sonst sterbe ich.«
»Aber du hast einmal gesagt, dass du auch die echte Welt brauchst.« Sofi war sich
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