Ueber den Himmel hinaus - Roman
Moskwa , und ich arbeite seit drei Jahren für meine Firma. Keine von uns tut das, was sie eigentlich tun will.«
»Ich spare«, protestierte Lena. »Für einen Flug nach Amerika.«
»Es kann noch Jahre dauern, bis du das Geld beisammen hast«, wandte Sofi ein. »Vor allem, jetzt, wo ihr eine eigene Wohnung habt. Wir müssen weg, aber wir stecken hier fest, alle drei. Und je länger wir bleiben, desto schwieriger wird es. In fünf Jahren könnten wir bereits verheiratet sein und Kinder haben, dann ist es endgültig vorbei. Und was ist dann mit unseren Träumen?«
Die Angst schnürte Natalja die Kehle zu. »Ich belege einen Schauspielkurs«, sagte sie matt, wohl wissend, dass ihr dieser Kurs nicht helfen würde. Jede ihrer vierundzwanzig Mitschülerinnen schlug sich wie sie mit irgendeiner erniedrigenden Tätigkeit durch und hoffte, dabei entdeckt zu werden und auf wundersame Weise den Sprung nach Hollywood zu schaffen. Sie seufzte. »Was hast du vor, Sofi?«
»Was würdet ihr tun, um von hier wegzukommen?«, fragte diese ernst und presste dann die Lippen aufeinander.
»So ziemlich alles«, sagte Lena.
»Alles«, sagte Natalja. »Absolut alles.«
Gegen Ende des darauffolgenden Monats hatten sie bereits eintausendzweihundert Dollar verdient. Sie hatten eine Anzeige in einer amerikanischen Zeitschrift geschaltet, mit einem glamourösen Bild von Natalja, das während ihres Schauspielkurses entstanden war. Die Zuschriften kamen an eine ausgebrannte Wohnung in einem Gebäude auf der anderen Straßenseite. Sie hatten von insgesamt zwanzig Männern jeweils sechzig Dollar »Vermittlungsgebühr« verlangt, in bar. Bislang hatte keiner von ihnen beanstandet, dass keine Vermittlung stattgefunden hatte. Nicht einer von ihnen hatte noch einmal geschrieben. Vielleicht waren sechzig Dollar nicht viel Geld für einen Amerikaner. Die großen Agenturen verlangten das Vierfache. Doch Sofi vermutete
auch, dass die Betroffenen aus Scham nicht erneut Kontakt mit ihnen aufnahmen. Als sie eine weitere Anzeige schalten wollte, diesmal mit einer höheren Vermittlungsgebühr, lehnte die Redaktion ab. Es waren Beschwerden eingegangen. Sofi wandte sich unbeirrt an eine andere Zeitschrift und verdreifachte die Vermittlungsgebühr, mit Erfolg.
Das Geschäft lief gut, der sprichwörtliche Rubel rollte. Wenn es so weiterging, konnten sie schon bald ihre Visumsanträge stellen und die Flugtickets buchen. Bei dem Gedanken bekam Sofi Herzklopfen - nicht nur vor Aufregung, sondern auch wegen Mama. Ihre Mutter hatte keine Ahnung, dass sie im Begriff war, die einzige Blutsverwandte zu verlieren, die sie noch hatte.
Doch Sofi konnte nicht bleiben. Kinder wurden nun einmal flügge. Mama und sie standen sich nahe, gingen sich aber auch auf die Nerven. Es war höchste Zeit, dass Sofi auf eigenen Beinen stand. Wäre Papa noch am Leben gewesen, sie hätte keine Sekunde gezögert.
Bis zum Sommerbeginn hatte sich in der Schachtel unter Nataljas Bett ein hübsches Sümmchen angesammelt, aber es reichte noch immer nicht. Sie hatten sich alles ganz genau überlegt: Sie brauchten nicht nur die Flugtickets nach New York oder Los Angeles, sondern auch genügend finanzielle Reserven, um dort ein halbes Jahr leben zu können und sich, so hoffte Sofi, eine Existenz aufzubauen. Sie war gerade auf der Suche nach einer neuen Zeitschrift, in der sie inserieren konnten, als eines Nachmittags Lena mit einem Brief bei ihr eintraf.
Sie war blass. »Wir haben ein Problem«, sagte sie.
Sofi überflog das Schreiben. Sie hatten offenbar einen Anwalt verärgert, der nun drohte, sie vor Gericht zu bringen.
Und, was noch schlimmer war, er hatte die Anzeigenredaktionen von vierundvierzig amerikanischen Zeitschriften informiert. Sie konnten keine Inserate mehr schalten. Das Spiel war vorbei.
»Was habt ihr denn?«, wollte Mama wissen, als sie ihre betretenen Mienen und hängenden Schultern bemerkte.
»Ach, nichts«, beruhigte Sofi sie fröhlich. Dann murmelte sie, zu Lena gewandt: »Wir treffen uns in einer Stunde bei euch.«
Die Wohnung lag im Halbdunkel, als Sofi ankam. Um Strom zu sparen, hatten Natalja und Lena alle Glühbirnen bis auf eine aus den Fassungen geschraubt. Sie setzten sich mit ihrer Schuhschachtel voller Briefe an den Esstisch.
»Ich habe einen Plan«, verkündete Sofi. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nervös war. »Aber er ist nichts für schwache Gemüter.«
Natalja lachte. »Ich fühle mich nicht angesprochen.«
Nun waren aller Augen auf
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