Ueber den Himmel hinaus - Roman
wir vorerst alles so, wie es ist.«
Sie war überraschend erleichtert. Vielleicht war das ja die positive Wendung, auf die sie gewartet hatte.
Es dämmerte bereits, als Sofi und Julien vor ihrem Haus hielten. Julien war den Großteil der Strecke einhändig gefahren. Mit der Rechten hatte er Sofis Hand umklammert. Sie hatten die Fahrt schweigend zurückgelegt, von einem ehrfürchtigen Staunen erfüllt.
Sofi sah zu Julien. Er lächelte sie mit Tränen in den Augen an und schüttelte den Kopf.
»Manchmal wäre es mir lieber, wenn wir nur zu zweit wären«, sagte sie und dachte an Stasja und Natalja, die sie mit einer Flasche Sekt und unzähligen Fragen erwarteten.
Der Anruf war um acht Uhr morgens gekommen. Sofi
hatte beschlossen, Nikita ausnahmsweise keinen Besuch abzustatten, und Natalja hatte sie angebettelt, mit ihr nach Paris zum Shoppen zu fahren. Danach stand Sofi nun zwar überhaupt nicht der Sinn, aber sie musste zugeben, dass es nicht schaden konnte, wenn sie einmal alles hinter sich ließ und sich ein wenig mit ihrer Cousine amüsierte. Aber noch ehe sie fertig angezogen war, hatte Dr. Pelletier angerufen und sie gedrängt, möglichst bald nach Loudun zu kommen. Nikita habe die Augen geöffnet und eine Krankenschwester beobachtet, dann sei er wieder eingeschlafen, hatte sie beinahe atemlos berichtet.
»Ich habe große Hoffnungen«, hatte sie ihr versichert. » Sehr große Hoffnungen.«
Sie waren nach Loudun gerast, und erst, als sie dort mit heftig klopfendem Herzen aus dem Wagen gestiegen war, hatte Sofi festgestellt, dass sie keine Schuhe trug. Dr. Pelletier empfing sie an Nikitas Bett. Sie lächelte, ihre sonst so harten Gesichtszüge waren wie ausgewechselt. »Er ist wach.«
Sofi drängte die Pflegerinnen beiseite. Nikita lag ruhig da und starrte an die Decke.
»Kann er etwas sehen? Ist er bei Bewusstsein?« Sofi hatte panische Angst, ihr Kind könnte einen Hirnschaden davongetragen haben. Doch dann, noch ehe sie den Satz beendet hatte, sah er ihr in die Augen. Sie winkte mit den Fingern, und seine Pupillen folgten ihren Bewegungen. »Nikita?«, sagte sie. »Mama ist da.«
»Mama ist da«, wiederholte er heiser, und sie war noch nie so glücklich gewesen, sein Echo zu hören. Das um das Bett versammelte Personal jubelte.
Nach zwanzig Minuten schloss er die Augen wieder. Die Ärztin erklärte, das sei normal. Es könne Wochen dauern,
bis er wieder ganz bei Bewusstsein sei. Aber alles deute auf eine baldige Genesung hin.
Kaum war sie aus dem Auto ausgestiegen, wurde auch schon die Tür aufgerissen, und Natalja rannte heraus, dicht gefolgt von Stasja. Sofi versuchte, ihnen von den neuesten Entwicklungen zu erzählen, doch mit einem Mal fehlten ihr die Worte, also übernahm Julien. Mama schluchzte so herzzerreißend, dass Sofi richtiggehend Angst um sie bekam. Natalja hopste herum wie ein Teenager.
»Es wird kalt; wir sollten hineingehen«, erklärte Julien.
»Ja, und wir sollten uns so richtig betrinken. Tante Stasja und ich haben sechs Flaschen Champagner besorgt«, verkündete Natalja.
Sie luden Nachbarn und einige langjährige Angestellte von Anastasia Designs ein. Sofi genoss die spontane Party zwar, sehnte sich aber auch danach, allein zu sein. Als sich gegen Mitternacht die letzten Gäste verabschiedet hatten und Mama auf dem Sofa eingeschlafen war, erbot sich Natalja, die Unordnung aufzuräumen. »Geht ihr nur ins Bett«, sagte sie.
»Bist du sicher?« Sofi hatte ein schlechtes Gewissen, ihrer Cousine die ganze Arbeit zu überlassen, aber sie war viel zu müde, um auch nur einen Finger zu rühren.
»Ganz sicher.« Natalja ergriff Sofis Hand. »Ich freue mich riesig für euch.«
»Ich mich auch. Ich bin sehr glücklich.« Das hatte Sofi schon seit Monaten nicht mehr von sich gesagt.
»Ich muss die Gunst der Stunde nutzen; wenn ich wieder nüchtern bin, habe ich bestimmt nicht mehr den Mut dazu«, sagte Natalja. »Darf ich Lena anrufen und es ihr erzählen?«
Sofi verspürte ausnahmsweise nicht die übliche Verbitterung,
als der Name ihrer Cousine fiel. »Ich … Ja, mach das. Aber ich bin noch nicht bereit, mit ihr zu reden.«
Natalja hob die perfekt gezupften Augenbrauen. »Tja, gut möglich, dass sie auch noch nicht bereit ist, mit mir zu reden.«
Julien wartete bereits im Schlafzimmer auf Sofi. Sie ging zu ihm, und er umarmte sie. So standen sie lange da, Herz an Herz, atmeten fast im gleichen Rhythmus.
»Sofi«, murmelte er schließlich. »Es ist lange her, seit wir uns
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